Das Land jenseits des Waldes, Band I
auch jederzeit für andere übernimmt, kommt man mit Höflichkeit, Fairness und Respekt, mit Besonnenheit und Toleranz oft sehr viel schneller zum Ziel, als man es selbst bei optimistischer Einschätzung hätte erwarten können«, gab Lars nun eine mustergültige Vorstellung in seiner Eigenschaft als Schloßsprecher mit beispielhafter Hilfsbereitschaft und partnerschaftlicher Solidarität gegenüber Knars als dem neuen Mitglied der Lohenmulder Gemeinschaft.
»Und vor allem: Mit Ehrlichkeit!« ergänzte Knars nun mit fester, fast schon lauter Stimme und grinste Lars ohne jede Form von Respekt frech ins Gesicht. »Damit ganz besonders!«
Rechenberg seinerseits grinste sich nun voll dreckig einen ab. Dieser neue Schüler machte sich. Das hatte er so nicht erwartet. Jedenfalls nicht so schnell. Nicht schon am ersten Abend. Das ganz bestimmt nicht.
»Komm, hör mir bloß auf mit diesem ganzen dummen Geschwätz aus unserem Leitbild«, raunte er dann Lars leicht grummelnd an. »Ich unterrichte jetzt seit über fünfzehn Jahren hier. Erst hier bei euch oben im Schloss, dann unten im Gutshof. Glaubt mir, ich weiß wie’s hier wirklich läuft. Mir macht niemand mehr irgend was vor. Diesen Schülerkodex aus der Stiftungssatzung könnt ihr in der Pfeife rauchen. Oder in euerem Fall, wenn ihr Nichtraucher seid, dann putzt ihr euch damit am besten eueren Arsch ab und spült ihn dann in der Kloschüssel runter. Har, Har, Har! Papier ist eben geduldig. Sehr, sehr geduldig. Und! Wisst ihr was? Entweder wird man hier in dieser Schule voller dummer, arroganter, verwöhnter Schnösel als Lehrer selbst zum Heiligen oder man wird zum Kettensägenmörder. Mit jedem Jahr, das ich länger hier bin, tendiere ich dabei immer eher zur Kettensäge!«
Die beiden Mulder Schüler waren platt von soviel Offenheit. Keinem fiel darauf eine Antwort ein. Ganz oben im Giebel über dem Hauptportal läutete die Schlossglocke genau in diesem Augenblick eine neue Stunde ein. Dieses stille Glockenzeichen verlieh Herrn Rechenbergs ungeheuerlichen Ausführungen noch zusätzliches Gewicht.
»Lassen sie das aber mal besser nicht Frau Professor Wechselberger hören«, sagte Lars mit dem leichten Anflug eines Scherzes in die entstandene Stille hinein.
»Weißt du, diese Frau wird hier von euch oben im Schloss eh total überschätzt«, sagte Herr Rechenberg dann. »Auf ihre Beurteilung bin ich ja gottlob nicht angewiesen. Aber der Stiftungsrat dagegen weiß, was er an mir hat. Der weiß meine Arbeit und mein jahrelanges Engagement durchaus zu schätzen. Und der nächste Direktor hier wird ja ganz bestimmt wieder ein Mann. Oui? C’est moi ? Har, Har, Har!«
»Deswegen haben sie jetzt ja neuerdings auch ein Gemälde aus dem Louvre in ihrem Büro hängen?« hakte Lars nach.
»Ja! Ganz genau! Wenn die alte Wechselbeger sich den nackten jungen Mann am Meer aufhängt, dann kann ich das schon lang.«
»Aber gerade Gabrielle d'Estrees und ihre Schwester im Bad . Herr Rechenberg. Ausgerechnet das. Da sind ja gleich zwei ungezogene Unangezogene drauf.« An dieser Stelle griff Lars mit Daumen und Zeigefinger nach Knars’ rechten Brustnippel, ohne ihn jedoch zu berühren.
Herr Rechenberg grinste schon leicht verklärt. »Lars, mein Junge. Ich glaub ja nicht, dass er schwanger ist. Zumindest nicht biologisch. Auch wenn er sich heute Nachmittag wie eine zickige Geschwängerte mit all ihren Launen aufgeführt hat. Har, Har, Har.«
Beide brachen in ein herzhaftes Gelächter aus. Und Knars verstand nichts. Nichts. Rein gar nichts. Er war wohl wirklich noch nicht lange genug hier in Lohenmuld, um genügend internes Wissen erlangt zu haben, um diesen Scherz, diesen Witz oder diese kleine gemeine Unverschämtheit oder was auch immer es war, verstehen zu können.
»Wenn ich euch hier jetzt noch etwas mit auf den Weg geben darf, Jungs«, fuhr Herr Rechenberg dann in zunehmend gelöster Stimmung fort, obwohl er gar keinen Portwein getrunken hatte.
»Seid auf der Hut vor dieser Frau. Die steht bevorzugt auf junge Männer. Ich mein’, habt ihr die Bilder in ihrem Büro gesehen?«
Beide nickten.
»Ich glaub’ ja ihr Interesse ist diesbezüglich wohl eher sehr abstrakt«, schränkte Lars dann zur Verteidigung der Frau Direktor ein. »Ich mein’, sie ist ja schließlich seit über zwanzig Jahren verheiratet und hat eine Tochter in unserem Alter.«
»Jaja, abstrakt, klar«, sagte Herr Rechenberg dann weiter. »Erst benebelt sie euch mit ihrem komischen Likör...
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