Das Land jenseits des Waldes, Band I
Wechselberger merkte nichts von der Schleimspur, die aus Knars’ Mundwinkeln träufelte, oder sie wollte schlicht nichts davon merken. Mit diesem neuen Schüler werden wir hier noch sehr viel Freude haben, dachte sie sich, der hat die richtige Einstellung, zum Sport und zum Leben. »Auf den Schlieri«, sagte dann auch sie, als sie ihr Glas erhob.
Dann schickte sich Knars an, zusammen mit Lars hinunter zum für alle Neuankömmlinge obligatorischen Drogentest ins Arztzimmer zu gehen.
05 Herr Rechenberg
»J etzt hat dein Gesicht ja schon wieder etwas an Farbe bekommen«, sagte Lars, als sie beide durch das kühle Treppenhaus zum Arztzimmer hinunter stiegen.
Und obwohl Knars nur ein halbes dieser hohen schlanken Gläser voll Portwein getrunken hatte, spürte er stark die Wirkung in sich. Aufgewühlt und aufgeregt, wie er schon den ganzen Tag lang war, schien auch die kleine Menge einen ungleich größeren Effekt zu haben als dies wohl in einem emotional stabileren und damit entspannteren Zustand der Fall gewesen wäre.
Oder lag es schlicht und einfach daran, dass er seit dem Frühstück heute früh um sieben Uhr, wobei er aber auch fast nichts runter gebracht hatte, so gut wie nichts mehr gegessen hatte und die eigentlich geringe Menge Portwein deshalb so stark in ihm wirkte.
Herr Rechenberg war der Präventionsbeauftragte für Suchtmittel hier am Schloss. Er unterrichtete aber ausschließlich in der Mittelstufe unten am Gutshof. So wurden von vorneherein Interessenskonflikte vermieden. Also wenn er ein und den selben Schüler als Lehrer zu benoten und ihn aber gleichzeitig als Drogenbeauftragter zu testen hatte. Kein Schüler am Schloss konnte daher also den Verdacht äußern, Herr Rechenberg würde ihn nur deswegen dauernd zur frühmorgendlichen Urinprobe auslosen , weil er ihn als Schüler im Unterricht nicht leiden konnte, während manch andere im ganzen Schuljahr insgesamt nur zweimal getestet wurden.
»Du möchtest jetzt wohl am liebsten laut los flennen, oder?« fühlte Lars dann einmal vorsichtig vor.
Die eigentümliche Wirkung des alten Portweins öffnete Knars’ Seele und die kontrollierte Fassade seines siebzehnjährigen Verhaltens bröckelte wie der Putz neben der alten Stahltür, die den Gang vor dem Arztzimmer im Untergeschoss zum Treppenhaus begrenzte.
So blickte er zu Boden und nickte.
Die plötzliche Trennung von seinen Eltern, die unmittelbare und augenblickliche Veränderung aller seiner bisherigen Lebensumstände nagten schwerer an ihm, viel schwerer als er es sich eigentlich vorgestellt hatte.
Er blieb kurz stehen, drehte sich zur Wand und kämpfte mit sich, schüttelte sich. Dann räusperte er sich laut und hatte, wenigstens bis auf weiteres, seine Fassung wieder gefunden.
»Jetzt komm. Ich bin ja auch noch dabei«, versuchte ihn Lars etwas zu entkrampfen, als er an die Kunststofftüre vom Arztzimmer klopfte, und Knars war sich dabei zunächst nicht so sicher, ob die Sorge wirklich ihm galt, oder ob Lars den Pflichttermin da drin beim Rechenberg nun nur möglichst schnell hinter sich bringen mochte. Neuankömmlinge, die dann schon beim Drogentest tränenreich schluchzend emotional zusammen brachen, verzögerten alles nur noch weiter und seine Abendplanung war dann womöglich vollständig über den Haufen geworfen. Und das endgültig.
Draußen vor dem Arztzimmer musste sich Knars zunächst bis auf seine bunte Unterhose ausziehen. Auch die Schuhe. Auch die Socken.
»Deine Schuhe passen zwar nicht so wirklich dazu, aber interessante Kombination«, bemerkte Lars und zog seine Oberlippe hoch, als er auf Knars’ elegante schwarze Schuhe hinunterblickte. »Du hast doch bestimmt auch schon unser Leitbild hier unterschrieben mit dem Bekenntnis zu einem der verschiedenen Anlässe angemessenen äußeren Erscheinungsbild ? Oder?«
Knars nickte. »Das war ganz schlicht und einfach höhere Gewalt«, erwiderte er und entsprach damit der vollen Wahrheit, ohne dass Lars wirklich verstand, worum es ging.
Dann wurden drinnen im Arztzimmer erst mal zwei Haarproben genommen. Eine vom Kopf. Eine unter der Unterhose.
»Da unten ist alles gespeichert« dozierte Rechenberg dann mit einem maliziösen Grinsen hinter seiner schmucklosen Brille. »In meinem Triathlon Leistungsstützpunkt in Königshofen haben letzten Sommer zwei aus der B-Jugend geglaubt, sie könnten mich überlisten, indem sie sich da unten komplett rasiert haben. Angeblich eine durchgeknallte Wette nach einer
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