Das Land zwischen den Meeren
sich ihr gegenüber gerade völlig offen gezeigt hatte, musste sie folglich ebenso aufrichtig sein. Sie gab sich einen Ruck.
»Etwas habe ich dir bisher noch nicht erzählt, Antonio. Weil es mich noch immer schmerzt, darüber zu sprechen … Ich war einmal verlobt. Früher, als ich noch in Köln lebte.«
»Und was ist aus deinem Verlobten geworden?«
Dorothea musste heftig schlucken und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Er ist tot.«
»Bitte verzeih, Liebes, wenn ich das geahnt hätte … ich hätte nicht danach gefragt.« Antonio legte ihr einen Arm um die Schultern, zog sie fest an sich und strich ihr tröstend über das Haar.
»Ich muss dir noch etwas sagen …« Dorothea schluchzte auf. »Wir wollten heiraten und gemeinsam nach Costa Rica reisen, alles war schon geplant. Ich wurde schwanger, und dann habe ich … ich habe das Kind verloren.«
Antonio nahm ihren Kopf in beide Hände und verschloss ihr den Mund mit einem innigen, langen Kuss. »Du Ärmste … Was musst du durchgemacht haben.« Er küsste sie immer und immer wieder. Trocknete mit den Lippen ihre Tränen und streichelte ihre Wangen, ihr Haar, flüsterte zärtlich und beschwörend: »Das ist Vergangenheit, hörst du? Du hast jetzt mich. Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Und ich bin sogar erleichtert, weil du dich auskennst … Ich verspreche dir, meine Liebe, alles, alles wird gut.«
Am Abend lag Dorothea wieder allein im Bett und horchte. Würde sich heute, nach ihrem offenen Gespräch, etwas ändern? Oder würde die Situation für sie noch unerträglicher werden? Die Tür öffnete sich, und Antonio kam ins Zimmer, zog sich im Dunkeln aus und legte sich ins Bett. Diesmal aber tastete er nach ihrer Schulter. Selig hielt Dorothea die Hand fest, führte sie langsam hinunter zu ihrer Brust, spürte durch den dünnen Nachthemdstoff hindurch Antonios Wärme und bebte innerlich. Sie raffte das Nachthemd bis zum Bauch hoch, zog den Körper ihres Ehemannes zu sich herüber, küsste sein Haar, seinen Nacken, seine Augenlider.
Es war ein seltsamer Moment ehelicher Zweisamkeit, der folgte. Flüchtig und nüchtern. Kaum mehr als eine keusche Umarmung. Und dann rückte Antonio auch schon von ihr ab, rollte sich auf die Seite und schlief sogleich ein. Dorothea war ganz sicher, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Denn obwohl Antonio üblicherweise nur maßvoll trank, hatte sie Alkohol gerochen.
Juli 1850 bis Juni 1851
»Oh, welch schöne Überraschung!« Dorothea zog zwei Theaterkarten unter ihrer Teetasse hervor. » Giselle . Gastspiel des Nationalballetts Buenos Aires.«
Sie blickte zu Antonio hinüber, der neben ihr am Frühstückstisch saß und mit selbstgefälliger Miene sein Brot mit Zitronengelee bestrich. »Ich hoffe, du magst Ballett, meine Liebe.«
»Aber ja. Wann findet die Aufführung denn statt?«
»Heute Nachmittag. Unser erster öffentlicher Auftritt seit der Hochzeit. Ich brenne darauf, die neidvollen Blicke der Männer zu sehen. Weil sie selbst gern eine so hübsche Frau hätten.« Er zog Dorotheas Hand zu sich herüber und drückte sie an die Lippen. Dabei schaute er ihr tief und unverwandt in die Augen, und sie las Aufrichtigkeit und Zuneigung in seinem Blick.
Sie durfte nicht ungeduldig und ungerecht sein, ermahnte sie sich. Ein gütiges Schicksal hatte ihr einen wunderbaren Ehemann an die Seite gestellt. Sie musste sich mehr Mühe mit ihm geben, dann würde aus Liebe auch Leidenschaft erwachsen.
»Was ist mit euch, möchtet ihr mit uns kommen?«, fragte Antonio seine Eltern. Doch Isabel hob nur matt die Hand und ließ sie wieder sinken. »Ich hatte schon vorhin beim Aufstehen entsetzliche Kopfschmerzen. Es ist besser, wenn ich heute früh zu Bett gehe.«
Pedro wischte sich mit der Serviette den Mund ab und faltete sie zusammen. »Geht ihr beiden nur allein. Mir liegt nichts an sinnlosem Herumgehüpfe. Und der Anblick von Männern in eng anliegenden Beinlingen ist mir geradezu unerträglich. Außerdem will ich die Rechnungsbücher prüfen. Unser neuer Buchhalter soll von vornherein wissen, dass er streng kontrolliert wird. Bevor ihm einfallen sollte, auf eigene Rechnung Geschäfte zu machen.«
Dorothea hatte für den festlichen Abend ein hellblaues Musselinkleid mit einem schmalen Volant am Rocksaum und einer cremefarbenen Spitze um den Halsausschnitt gewählt. Die Schneiderin, die das Brautkleid genäht hatte, hatte gleichzeitig mehrere Tageskleider und Abendroben angefertigt, damit Dorothea zu jedem
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