Das Land zwischen den Meeren
Taftkleid mit streng nach hinten gekämmtem Haar und einem kräftigen Oberlippenbart. In ihrem Ton lag ein deutlich vernehmbarer Vorwurf. Ihre weitaus hübschere, etwa fünfundzwanzigjährige Tochter stand schweigend und schmallippig neben der Mutter und vermied jeden Blickkontakt mit Dorothea. Diese schluckte verlegen und suchte nach einer Antwort.
»Verzeihung, Señora Torres Picado«, erklang da unvermutet Antonios Stimme. »Dorothea hat keineswegs mich geangelt, wie Sie es nennen, sondern ich sie. Und ich darf Ihnen verraten, es war kein einfaches Unterfangen. Im Übrigen hat sie mich nicht als Fremde, sondern als Frau fasziniert.« Er zog Dorotheas Hand an die Lippen und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Wie glücklich konnte sie sich schätzen, einen Ehemann bekommen zu haben, der seine Frau so schlagfertig gegen die offensichtlichen Vorurteile dieser ältlichen Señora verteidigte.
Als Antonio sich zum Gehen wandte, beobachtete sie, wie einige Frauen ihm verstohlen mit verzückten Blicken hinterherschauten. Die Tochter von Señora Torres Picado, die dasselbe Kleid wie ihre Mutter trug, nur in einem helleren Farbton, starrte Dorothea feindselig an und verschwand wortlos in Richtung des Rosenpavillons, wo ein Koch frische Pfannkuchen zubereitete.
Bis in den Abend hinein wurde gegessen, getrunken und gefeiert. Beim Tanz, den das Brautpaar eröffnete, spürte Dorothea Antonios Atem auf ihrer Wange, fühlte den leisen Druck seiner Hände. In diesem Moment schwanden endgültig alle Unsicherheiten und Zweifel der vergangenen Monate. Ihr Herz pochte vor Aufregung, Stolz und Glück. Sie blickte in Antonios sanft schimmernde Augen, in denen etwas Scheues lag, und schwor sich, diesen wunderbaren Mann glücklich zu machen. Sehnte sich danach, ihm ganz nahe zu sein, ihn zu streicheln, zu küssen, von ihm berührt zu werden. Als der Tanz zu Ende war, drängten sich die Herren, der Reihe nach mit der strahlenden Braut zu tanzen. Und die Damen bekamen einen verträumten Gesichtsausdruck, als sie sich von Antonio im Rhythmus wiegen und drehen ließen.
Pedro erwies sich als ein weitaus ungeschickterer Tänzer als sein Sohn. Er humpelte von einem Bein aufs andere, trat Dorothea auf den Rocksaum und wäre beinahe gestolpert. »Ach was, das Tanzen sollte ich besser den jungen Hüpfern überlassen. Übrigens, du hast deine Sache bisher recht gut gemacht, Dorothea. Wo bleibt denn der Champagner? Wir wollen miteinander anstoßen.«
Als die Gäste gegangen waren und die Dunkelheit hereinbrach, zog sich Isabel, die bleich und erschöpft wirkte, in ihr Reich zurück, das im oberen Stockwerk des Ostflügels lag. Ihr Mann bot ihr seinen Arm und führte sie vorsichtig die Stufen hinauf. Auf dem Treppenabsatz legte er eine kurze Verschnaufpause für Isabel ein. Dabei warf er von oben einen Blick auf seinen Sohn und runzelte leicht die Stirn. Antonio nahm Dorotheas Hand und zog sie rasch in das Bibliothekszimmer, wo die Dienerschaft die Geschenke der Gäste ausgebreitet hatten. Geschirr, Gläser, Besteck, Bettwäsche mit eingesticktem Monogramm, mehrere indianische Masken, ein Gemälde mit der Darstellung des Vulkans Arenal, eine silberne Teekanne samt Zucker- und Milchschälchen und sogar eine Kuckucksuhr mit reichen Pflanzen- und Tierschnitzereien.
Dorothea griff nach dem Kärtchen, das an der Uhr befestigt war, und musste plötzlich lachen. »Die gute Johanna Miller hat wohl Sorge, ich könne Deutschland ganz vergessen.« Sie lehnte den Kopf an Antonios Schulter und stellte fest, wie müde er aussah. Sanft berührte sie mit der Fingerspitze die Lachfältchen an seinen Augen.
»Geh schon einmal hinauf, Dorothea. Es war ein aufregender Tag. Ich würde ihn gerne bei einer Zigarre in Ruhe ausklingen lassen. In spätestens einer Viertelstunde bin ich bei dir.«
Sie nickte, obwohl sie insgeheim gehofft hatte, Antonio werde sie über die Schwelle zum Schlafzimmer tragen. Zu ihrer Überraschung wartete dort ein Dienstmädchen.
»Darf ich Ihnen beim Auskleiden behilflich sein, Señora Ramirez?«
Einem ersten Impuls folgend, wollte sie das Mädchen fortschicken. Sie hatte sich bereits ausgemalt, wie es wäre, wenn Antonio ihr das Hochzeitskleid aufschnürte und auszog. Doch dann ließ sie sich von der jungen Frau die Knöpfe und Haken im Rücken lösen.
»Vielen Dank. Den Rest schaffe ich allein. Wie heißt du?«
»Mariana, Señora Ramirez. Gute Nacht. Schlafen Sie gut.« Das Mädchen knickste
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