Das Land zwischen den Meeren
und verschwand lautlos. Dorothea streifte sich das bauschige Kleid über den Kopf und legte es über einen Stuhl. Strich über den seidigen Stoff und fand es sehr schade, dieses herrliche Gewand nie wieder tragen zu können. Da entdeckte sie plötzlich ein Stück zusammengefaltetes Papier auf dem Fußboden. Sie war sich sicher, dass es zuvor nicht dort gelegen hatte. Es musste wohl aus der Tasche ihres Kleides gefallen sein. Sie bückte sich danach, strich es glatt und trat zu dem Kerzenleuchter, der auf der Kommode stand, um besser lesen zu können.
Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Sie werden mit Antonio niemals glücklich sein.
Dorothea erstarrte. Was hatte das zu bedeuten? Und wer hatte ihr diese Zeilen unbemerkt zugesteckt? Für wenige Stunden war sie grenzenlos glücklich gewesen, und nun sollte ihre Ehe mit einem anonymen Brief beginnen? Doch außer Johanna Miller war sie keinem der Gäste jemals zuvor begegnet. Sie würde Antonio fragen. Bestimmt konnte er das Rätsel lösen. Außerdem wollte sie an ihrem Hochzeitsabend keinen einzigen trüben Gedanken zulassen.
Sie schnürte das Mieder auf, zog Schuhe, Strümpfe und Hemd aus und sah sich im Spiegel, wie sie nackt neben der Waschschüssel stand und sich mit einem Schwamm über die glühende Haut fuhr. Vielleicht lag es an der Beleuchtung, vielleicht auch am Champagner, aber sie fand sich schön und begehrenswert. Das Dienstmädchen hatte ein hauchzartes Nachthemd auf ihrer Betthälfte ausgebreitet. Dorothea schlüpfte hinein und löschte die Kerzen bis auf eine, stieg ins Bett und wartete, lauschte, ob Schritte vor der Tür zu vernehmen waren.
Alles blieb still, und Dorothea wurde allmählich unruhig. Antonio wollte doch nur noch eine Zigarre rauchen … Was war mit ihm? War Pedro doch noch zurückgekommen, um ein vertrauliches Vieraugengespräch zwischen Vater und Sohn zu führen? Dorothea schwankte zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Sollte sie hinuntergehen und nachsehen, wo ihr frisch angetrauter Ehemann blieb? Was, wenn sie jemandem vom Personal auf dem Flur begegnete? Sie würde sich lächerlich machen. Dann endlich öffnete sich die Tür, und Antonio schlich auf Zehenspitzen ins Zimmer. Erwartungsvoll richtete sie sich auf, streckte ihm eine Hand entgegen.
»Du bist noch wach, Liebes? Bist du denn nicht müde? Ich bin vorhin in der Bibliothek schon eingeschlafen.«
Antonio löschte die Kerze und zog sich im Dunkeln aus. Sie spürte, wie ein Körper kraftlos neben ihr ins Bett sank, hielt den Atem an, wartete, atmete vorsichtig weiter, wartete wieder. Hörte neben ihrem Ohr ein leises, gleichmäßiges Schnarchen. Sie starrte in die Dunkelheit und vergoss lautlose, heiße Tränen.
Als Dorothea am nächsten Morgen erwachte, war das Bett neben ihr leer. Sie zog sich hastig an und fand Antonio in der Bibliothek, wo er gerade die Kuckucksuhr von Johanna Miller aufzog. Er verstellte den Zeiger, die Klappe über dem Ziffernblatt flog auf, und es ertönte ein dreifacher Ruf.
»Hast du gut geschlafen, meine Liebe?«, fragte er fürsorglich und hauchte Dorothea einen Kuss auf die Wange. »Du siehst wunderbar aus in diesem blauen Kleid«, raunte er ihr ins Ohr.
Dorotheas Enttäuschung verflog. Zwar hatte ihr Ehemann sie in der Hochzeitsnacht nicht beachtet. Aber nur, weil ihn der Tag ermüdet hatte. Dennoch liebte er sie, das zeigten seine Worte ganz deutlich. Sie war viel zu ungeduldig, wusste das Wesen der costaricanischen Männer noch nicht richtig einzuschätzen, schalt sie sich. Und offenbar war nicht jeder Mann zum leidenschaftlichen Liebhaber geboren, musste erst in seine Aufgabe als Gatte hineinwachsen. Sie fühlte sich schuldbewusst und erwiderte Antonios Wangenkuss, suchte seine Lippen.
»Guten Morgen! Nehmen die beiden Turteltauben wohl mit mir zusammen endlich das Frühstück ein?«, war hinter ihnen Pedros ungehaltene Stimme zu hören.
Sie aßen zu dritt, denn Isabel ließ sich entschuldigen. Der gestrige Tag hatte sie allzu sehr angestrengt. Antonio und sein Vater sprachen über den geplanten Kauf eines neuen Wassermühlrades, das die Rührbottiche in Bewegung halten sollte, in denen das Fruchtfleisch der Kaffeekirschen von den kostbaren Bohnen im Innern getrennt wurde. Nach dem Frühstück zog sich Pedro in sein Kontor im Verwaltungsgebäude zurück. Dies war ein eingeschossiger Bau, etwa ein Drittel so groß wie das Herrenhaus, und lag nur wenige Minuten Fußweg davon entfernt.
Antonio stellte Dorothea das Dienstpersonal vor,
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