Das Land zwischen den Meeren
die nur für die Ernte eingestellt wurden. In den Anfangsjahren des Kaffeeanbaus hatten Sklaven diese Arbeit ausgeführt, die aus Afrika herangeschafft worden waren. Zahlreiche von ihnen landeten später auf den Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen der amerikanischen Südstaaten. Denn nachdem im Jahr achtzehnhundertvierundzwanzig in Costa Rica die Sklaverei abgeschafft worden war, wurden zumeist indianische Ureinwohner oder nicaraguanische Wanderarbeiter für diese anstrengende und schweißtreibende Tätigkeit angeworben. Dorothea beobachtete, wie die Kaffeekirschen, die anfangs klein und grün waren, von Woche zu Woche praller und dicker wurden. Bald schon würden sie die Farbe wechseln und zuerst orange, dann leuchtend rot werden.
Jeden Tag gab es Neues entdecken. Eine gelb blühende Schlingpflanze an einer der Holzbrücken über dem Bach, der quer durch das gesamte Areal der Hacienda verlief. Grüne Papageien in Amselgröße, die zwischen den Schattenbäumen auf den Feldern hin und her flogen und Pfeifrufe ausstießen. Fingerlange braune Echsen, die sich auf Baumstümpfen sonnten und im Gestrüpp verschwanden, sobald sich Dorothea näherte. Häufig beobachtete sie die zutraulichen Agutis, kaninchengroße Nagetiere mit braun glänzendem Fell, deren Laute an Hundegebell erinnerten und die im Sitzen Blätter und Wurzeln verzehrten. Manchmal auch einen Kolibri mit schillerndem Gefieder, der mit seinem langen dünnen Schnabel in einer Blüte nach Nektar oder kleinen Insekten suchte. Wobei diese Vögel Blüten in kräftigen Rottönen ganz offensichtlich bevorzugten.
Dorothea konnte sich nicht sattsehen an der Pflanzen- und Farbenpracht und an den Tieren, die ebenfalls zu den Bewohnern der Hacienda zählten. Sie hatte das Gefühl, in einem Garten Eden zu leben. Ihr Skizzenbuch trug sie immer mit sich. Sie konnte gut verstehen, warum Antonio dieses Fleckchen Erde so liebte. Gern ging sie am Bach entlang, dessen Quelle irgendwo in den Bergen unterhalb des Vulkans Barva liegen musste. Sein gleichförmiges Rauschen hörte sie sogar nachts im Schlafzimmer. Und nie musste sie eine wärmende Jacke oder einen Mantel tragen, wie sie es von Deutschland her gewohnt war. Allenfalls ein Schultertuch, und das auch nur als modisches Zubehör.
Der alte Gärtner Fernando, den ihr Schwiegervater an jenem Tag eingestellt hatte, als er Besitzer der Plantage geworden war, strahlte jedes Mal über das ganze Gesicht, wenn er Dorothea erblickte. »Sie sind eine Augenweide, Señora Rami rez. Schöner als alle Blüten, die auf der Hacienda wachsen.«
Dorothea musste lachen, wie ernsthaft der hagere kleine Mann ihr beim Reden mit einem Auge zuzwinkerte und dann mit überschwänglicher Geste den Hut zog. Sie ließ sich von Fernando erklären, welche Arten von Bäumen im Park wuchsen, erfuhr, dass der schwere Boden für die Rosen mit Sand versetzt werden musste, damit die Wurzeln ausreichend belüftet wurden, und welche Orchideen die meisten Insekten anzogen. Gelegentlich wurde der Gärtner von Amerigo Vespucci begleitet, einem zahmen roten Ara, der auf seiner Schulter saß. Dorothea beobachtete den Vogel zunächst aus respektvollem Abstand. Dann aber fasste sie Vertrauen zu dem Tier. Strich ihm mit den Fingerspitzen sanft über die Flügel, deren Federn in den Farben Rot, Gelb und Blau leuchteten. Der Papagei kommentierte die Liebkosung mit heiserem Krächzen.
Antonio zeigte alle Anzeichen eines verliebten, frisch verheirateten Ehemannes. Einmal fand sie einen Ring in ihrer Teetasse, dann eine Brosche in der Seifenschale. Es machte ihm sichtlich Freude, ihren überraschten Gesichtsausdruck zu beobachten. Doch viel lieber hätte sie sich Aufmerksamkeiten anderer Art gewünscht. Ihre sporadischen nächtlichen Zusammenkünfte blieben seltsam kühl und freudlos. Und jedes Mal meinte Dorothea, Alkohol zu riechen. Sie fragte sich, wie viel Zeit und Geduld sie noch aufbringen musste, um bei ihrem Mann Begehren und Leidenschaft zu wecken. Oder zumindest innigere Zärtlichkeiten.
Aber womöglich verlangte sie zu viel vom Leben. Sollte genügsamer und bescheidener werden. Mehr Dank zeigen für das glückliche Schicksal, das ihr beschieden worden war und um das andere sie beneideten. Ein Leben ohne Geldsorgen in einem prachtvollen Haus, Dienstboten, ein großzügiger Ehemann. Dennoch fehlte ihr etwas. Sie sehnte sich nach der Zeit zurück, als sie die Siedlerkinder unterrichtet hatte. Aber besonders sehnte sie sich nach Alexanders
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