Das Land zwischen den Meeren
habe, ist die pure Wahrheit. Ich liebe dich so, wie du bist.«
»Was du nicht sagst. Wieso spüre ich nichts davon?«
Antonio stand auf, lief vor dem Balkonfenster auf und ab, verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »In mir ist etwas, das ich nicht beherrschen kann … Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll … Du musst mir Zeit geben.«
»Fünf Jahre Ehe reichen noch nicht?«, entfuhr es Dorothea, und ganz gegen ihren Willen klang es höhnisch.
»Hör zu, wir können heute nicht darüber reden. Ich habe etwas … etwas Geschäftliches zu erledigen und werde für einige Tage verreisen. Eine Woche oder auch zwei …«
Brüsk wandte er sich zur Tür, wollte hinausgehen, doch Dorothea stellte sich ihm in den Weg. Enttäuscht und mit Tränen der Wut in den Augen.
»Übermorgen kommt das Pony, das Olivia sich gewünscht hat. Und du hast versprochen, dabei zu sein, wenn sie zum ersten Mal darauf reitet.«
Antonio zuckte zusammen und hob entschuldigend die Hände.
»Wen wirst du treffen? Wirklich nur Geschäftsfreunde? Sag es mir! Ich bin deine Frau.«
Er schob sie zur Seite und verließ das Zimmer ohne ein Wort.
»Du darfst nicht einfach so davonlaufen, Antonio!«
Felipe, der erste Stallbursche, hob Olivia in den Sattel. »Nun, kleine Señorita, dann wollen wir mal sehen, ob du genauso mutig bist, wie es dein Vater als Junge war.« Er drückte Olivia die Zügel in die Hand und führte das Pony langsam über den Pfad von den Stallungen zum Wasserturm. Felipe war fast sechzig Jahre alt, hatte ein wettergegerbtes Gesicht und trug stets eine braune Baskenmütze aus grobem Leinenstoff. Er wusste alles über Pferde, und hätte er kein Zuhause mit einer Frau, vier Kindern und zwölf Enkeln gehabt, hätte er vermutlich sogar bei seinen Schützlingen im Stall übernachtet. Einige indianische Dienstmädchen, die auf dem Weg von ihrer Unterkunft zum Herrenhaus waren, blieben stehen und spornten Olivia mit lauten Rufen an.
Felipe ließ das Pony anhalten und stellte sich in Positur, weil Dorothea mit dem Kreidestift festhalten wollte, wie ihre Tochter das erste Mal einen Ausritt unternahm. Aufgeregt und mit glühenden Wangen reckte Olivia sich im Sattel. Sie neigte sich vor und tätschelte den Hals des Tieres.
»Beeil dich, Mama! Livi will weiter.«
»Einen Augenblick noch!«, rief Dorothea und suchte nach einem frischen Stift. »Ich bin gleich fertig. Hast du denn schon einen Namen für dein Pony?«
»Negro, weil … er ist ganz schwarz. Wo ist Papa? Papa hat gesagt, er kommt und guckt, wenn Livi reitet.«
Dorothea kniff die Augen zusammen und hastete mit dem Zeichenstift über das Papier. »Papa schickt dir einen dicken Kuss. Er musste verreisen. Deshalb fertige ich diese Zeichnung an. Und wenn er wieder zurück ist, zeige ich sie ihm. Dann ist es fast so, als wäre er in diesem Moment selbst dabei gewesen.«
Sie wunderte sich über sich selbst, wie leicht und selbstverständlich ihr diese Erklärung über die Lippen kam. Doch tief im Innern empfand sie bittere Enttäuschung, weil Antonio nicht nur sie als Ehefrau vernachlässigte, sondern sogar die kleine Tochter im Stich ließ. Olivia wurde unruhig, rutschte im Sattel hin und her und hieb die Fersen in die Flanken des Ponys. »Hü, hü, schneller!«
Felipe griff in die Zügel, lief neben dem trabenden Pony her. Olivia juchzte laut auf. »Hü! Hü!« In gespieltem Erschrecken sprang Dorothea zur Seite, um Platz zu machen. »Halt dich gut fest!«, rief sie hinterher und schloss gleich darauf angstvoll die Augen, als sie sah, wie Olivia vom Sattel zu rutschen drohte. Doch Felipe hatte blitzschnell zugepackt und richtete das Kind wieder auf.
»Livi hat keine Angst, Mama! Livi ist mutig.«
Dorothea bemerkte es sofort. Es war nicht Antonios Rasierwasser, das seinem Hemdkragen entströmte, als sie ihn auf die Wange küsste. Es war ein fremder Geruch. Weicher, mit ein wenig Holz und Rosmarin. Ein Damenparfum war es jedenfalls nicht. Vielmehr ein Duft, wie ihn nur ein Mann verwendete. Etwa ein Mann, der Antonio so nahe gekommen war, dass er diese Spur hinterlassen konnte? Aber vielleicht hatte Antonio auch nur sein Rasierwasser gewechselt, und sie verdächtigte ihn zu Unrecht.
Also mimte sie die glückliche Ehefrau, die ihren Gatten bei seiner Heimkehr freudig begrüßte. Ein Wiedersehen, das in Anwesenheit der Schwiegereltern und Hausbediensteten stattfand, die sich in Reih und Glied aufgestellt hatten, um den jungen Herrn willkommen zu heißen. Wie immer
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