Das Land zwischen den Meeren
ein, schlürfte ihn genüsslich in kleinen Schlucken. Sie war zwar die Ehefrau eines künftigen und die Schwiegertochter des mächtigsten Kaffeebarons im Land, aber sie hatte sich immer noch nicht an dieses starke, bittere Getränk gewöhnt. Die Einheimischen filterten die scharf gerösteten und fein gemahlenen Bohnen durch ein Baumwollsäckchen direkt in die Tasse. Doch selbst nach dem Zusatz von reichlich Zucker und Milch wurde der Kaffee für Dorothea nicht schmackhafter.
Antonio teilte ihre Vorliebe. Jeden Nachmittag gegen halb vier Uhr trafen sie sich auf der überdachten Veranda zum Tee. Sprachen über die Fortschritte, die Olivia machte, dass sie neue Schuhe brauchte, weil sie aus den alten nach nur wenigen Wochen bereits herausgewachsen war, oder über die Einladung zu einem Empfang, die einer von Pedros zahlreichen Geschäftspartnern ausgesprochen hatte. Doch in letzter Zeit hatten sie sich wenig zu erzählen, wenn sie miteinander allein waren. Seitdem Dorothea sein Geheimnis gelüftet hatte, fühlte sie sich ihrem Mann in unheilvoller Weise ver bunden. Weil er ihr ausgeliefert war. Und weil sie sich scheut e, darüber zu sprechen. An manchen Tagen glaubte Dorothea, Antonio halte nur deswegen an dem nachmittäglichen Ritual fest, um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen. Den Verdacht etwa, mit ihrer Ehe könne etwas nicht stimmen.
Dorothea wollte gerade aufstehen, als unerwartet Isabel auf der Veranda erschien.
»Störe ich etwa?«, fragte sie mit ihrer leisen Stimme, in der immer ein Hauch von Leid mitschwang.
»Aber nein, Schwiegermutter. Magst du einen Tee?«
»Ich weiß nicht … ja, einen kleinen Schluck. Aber nur ausnahmsweise. Pedro wäre wenig begeistert, wenn er davon erführe. Er lebt ausschließlich für den Kaffee und nähme nie ein anderes Getränk zu sich.«
Außer Whisky, Rum, Zuckerrohrschnaps und Cognac, dachte Dorothea und überlegte, warum Isabel ganz gegen ihre sonstigen Gepflogenheiten um diese Zeit auf die Veranda kam. Sonst nämlich verbrachte sie die Nachmittage in ihrem Damenzimmer im Ostflügel, wo ganz selten eine alte Freundin zu Besuch kam, sie ansonsten aber englische Liebesromane las, vorzugsweise solche von Jane Austen oder den Schwestern Bront ë , mitunter auch Erzählungen von Charles Dickens. Dorothea wusste dies von Mariana. Die junge Indiofrau war mittlerweile zu einer Zofe und persönlichen Vertrauten der Hausherrin geworden.
Dorothea schenkte Isabel eine Tasse Tee ein und beobachtete aus den Augenwinkeln das stille Lächeln, das über Isabels Gesicht huschte. Kein Wunder, war ihr, der Tochter einer englischen Mutter, die Vorliebe für Tee vermutlich schon in die Wiege gelegt worden.
»Schön, dass du mir Gesellschaft leistest«, versuchte Dorothea ein Gespräch in Gang zu bringen. Mit wachsender Ungeduld fragte sie sich, was ihre Schwiegermutter wohl auf dem Herzen hatte.
»Olivia hat sich recht gut entwickelt«, begann Isabel zögernd und zupfte sich eine der feinen Kräusellocken in die Stirn, die wie die Zacken einer Spitzenborte ihren Haaransatz zierten. »Nur schade, dass die Kleine immer allein ist.«
»Aber nein, Schwiegermutter. Ich bin doch fast den ganzen Tag mit ihr zusammen. Olivia spielt auch oft mit den Kindern unseres Verwalters. Und dann ist da noch ihr Kindermädchen …«
Dorothea wunderte sich, dass Isabel sich um das Befinden ihrer Enkelin solche Gedanken machte. Schließlich war Olivia nur ein Mädchen und nicht der ersehnte Erbe der Hacienda Margarita. Die Enttäuschung der Schwiegereltern bekam Dorothea häufig genug mehr oder weniger deutlich zu spüren.
Isabel gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie schob ihr dünnes, spitzes Kinn vor. »Sicher, aber es wäre doch schön, wenn Olivia ein Geschwisterchen hätte.«
Daher also wehte der Wind … »Dann muss ich dich wohl daran erinnern, dass du ebenfalls nur ein Kind bekommen hast«, entschlüpfte es Dorothea bissiger und unbeherrschter als beabsichtigt.
»Großmutter, Abuela, guck mal, Livi ist ein Vogel!«, schallte Olivias vergnügte Stimme durch den Park. Isabel hob eine Hand und winkte der Enkelin zu. Doch ihre Bewegung wirkte hölzern und teilnahmslos. Der rot geschminkte Mund verzog sich zu einem schmalen Strich.
»lhr seid beide gesund und kräftig, du und Antonio. Und ihr seid seit fünf Jahren verheiratet. Ihr wisst, wie sehr Pedro auf einen Enkel wartet. Wenn zwei Menschen sich lieben, dann gehören Kinder doch einfach dazu, nicht wahr?«
Dorothea rang nach
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