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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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nach einer Reise. Antonio scherzte mit seiner Frau, herzte seine Tochter, erzählte von einer Begegnung mit einem Alligator, der plötzlich aus dem Wasser herausgeschnellt war, während er auf einem Bootssteg gestanden hatte, und der ihn um Haaresbreite verfehlt hatte. Olivia schrie auf, hielt sich die Ohren zu und ließ sich nur mit vielen Streicheleinheiten und gutem Zureden von ihrem Vater beruhigen. Dorothea ging das Herz auf, als sie diese zärtliche Szene zwischen Vater und Tochter beobachtete. Doch der Zweifel nagte weiter an ihr.
    Am nächsten Morgen, nachdem die Dienstmädchen bereits sauber gemacht hatten und sie sicher sein konnte, dass niemand sie ertappte, schlich sie sich in Antonios Zimmer. Entdeckte die Flasche mit dem Rasierwasser auf der Kommode neben der Waschschüssel, zog den Stöpsel heraus und schnupperte. Es war der Duft, den sie seit jeher an ihrem Mann kannte. Eine Mischung aus Tabak und Sandelholz, angenehm würzig, nicht zu schwer.
    Dann hatte sie also richtig vermutet. Es war ein fremdes Parfum gewesen, das sie an Antonios Kleidung gerochen hatte. Sie wankte zurück in ihr Zimmer, ließ sich in den Schaukelstuhl auf dem Balkon fallen, dessen Überdachung aus Palmstroh Schutz vor der Witterung bot. Voller Verzweiflung starrte sie in den fahlen Himmel, aus dem der nachmittägliche Regen fiel und dem Land üppiges Leben spendete. Ein gräulicher Schleier schien die weiten grünen Felder vor ihren Augen zu überziehen. Es roch nach warmer, feuchter Erde. Kein einziger Laut war zu hören, nur das kräftige Rauschen des Baches drang an ihr Ohr.
    Gott hatte Mann und Frau erschaffen, damit sie zueinander fanden und Nachkommen zeugten. Warum aber war ihr Mann so anders, als es in der Heiligen Schrift stand, in der doch der Wille des Allmächtigen verkündet wurde? Hatte womöglich der Teufel seine Finger im Spiel? Konnten Gebete, Buße, Ablass helfen?
    Und wenn es gar nicht an Antonio lag, sondern ganz allein ihre Schuld war? Weil sie in manchen Nächten immer noch von Alexander träumte, dem Mann, der als Einziger ihr Herz entflammt hatte? Mit dem sie eine gemeinsame Zukunft in Costa Rica geplant hatte. Gott strafte sie für ihre sündhaften Gedanken. Und deswegen durfte sie auch nicht zu hart über Antonio urteilen. Sie musste ihm verzeihen. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein, hieß es in der Bibel. Und sie hatte bei der Eheschließung das Gelöbnis abgegeben, ihrem Mann in guten wie in schlechten Tagen beizustehen.
    Ihr Blick fiel auf eine Bromelie, die sie eigenhändig eingetopft hatte und die die Balkonbrüstung zierte. Die sternförmigen Blüten leuchteten strahlend rot. Das Rot erinnerte sie an Elisabeth, die Hüte ausschließlich in dieser Farbe zu tragen pflegte. Ein Erkennungszeichen, das der Freundin das gewisse Extra verlieh. Viel zu lange schon hatten sie sich nicht mehr gesehen. Fast zwei Jahre waren seit dem letzten Besuch vergangen. Noch am Abend wollte sie Elisabeth schreiben und anfragen, wann sie und Olivia zu Besuch kommen könnten. Dann würde sie sich eine frische Meeresbrise um die Nase wehen lassen, Abstand gewinnen und wieder zu sich selbst kommen. Und vielleicht endlich den Mut finden, den sie bei ihren früheren Besuchen nicht aufgebracht hatte, weil die Scham zu tief saß: ihren Kummer beim Namen zu nennen und sich zu offenbaren. Bestimmt wusste die Freundin Rat.
    Sie wartete auf der Bank unter dem Kalebassenbaum. Seit jenem Abend, als sie ohne Absicht zur Mitwisserin geworden war, hatte sie nie wieder die Tür zu Antonios Blockhütte geöffnet, geschweige denn ihren Fuß in diesen Raum gesetzt. Da sie nicht wusste, wie lange sie auf Antonio warten musste, hatte sie ihr Skizzenbuch mitgenommen, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie lauschte dem Sirren der Insekten, in das sich vielstimmige Vogelrufe mischten.
    E twas bewegte sich zwischen den Blättern eines wild wach senden Bananenbaumes. Dorothea rührte sich nicht, war gespannt, welches Tier sich dort oben versteckte. Ein Affe, ein Papagei, eine Schlange oder ein ihr noch unbekanntes Geschöpf? Und dann sah sie, wie ein braunsilberner Leguan langsam den Stamm herunterkroch. Auf halber Höhe hielt er inne und beäugte Dorothea mit halb geschlossenen Lidern. Sie nahm ihr Buch zur Hand und begann zu zeichnen. Von der Größe her war es offenbar ein Jungtier. Fasziniert beobachtete sie die behäbigen Bewegungen, den Stachelrücken und den Schwanz, der länger war als der ganze Körper. Mit einer blitzschnellen

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