Das Land zwischen den Meeren
Kopfbewegung fing das Reptil ein Insekt und verschwand in einem Erdloch.
»Dorothea, Liebes, wartest du etwa auf mich?«
Sie war so sehr in ihre Zeichnung vertieft gewesen, dass sie Antonio nicht hatte kommen hören.
»Ja. Setz dich kurz zu mir! Ich möchte mit dir reden.«
Jetzt erst fiel ihr auf, was sie beim Frühstück gar nicht bemerkt hatte. Ihr Mann wirkte fahrig und erschöpft. Unter den Augen lagen tiefe Ringe. Er hatte die oberen Knöpfe seines Hemdes nicht geschlossen, und sie sah seine Schlüsselbeine, die knochig hervorstachen. Hatte er etwa stark an Gewicht verloren?
»Elisabeth lädt mich ein, sie für einige Tage mit Olivia zu besuchen. Ich glaube, eine Luftveränderung täte uns beiden gut. Und Olivia hat noch nie das Meer gesehen.«
Antonio schüttelte den Kopf, seine Augen flehten, die Lippen bebten. »Nein, du kannst jetzt nicht fahren.«
Mit allem hatte Dorothea gerechnet, nur nicht mit einer solchen Antwort. Widerstand regte sich in ihr. »Und warum nicht? Willst du mir als mein Ehemann diese Reise verbieten?«
»Das nicht. Aber ich muss dich trotzdem bitten, hierzubleiben.«
»Gibt es einen Grund, und wenn ja, darf ich ihn erfahren?«
»Ich muss etwas regeln … Es hat nichts mit dir zu tun.«
»Nun, wenn das so ist, bin ich beruhigt. Dann packe ich noch heute Abend die Koffer.« Dorothea ärgerte sich, weil sie so gereizt reagierte und weil es ihr immer schwerer fiel, Antonio gegenüber einen moderaten Ton anzuschlagen.
»Nein … nicht … ich …« Er schluckte und verschränkte die Hände so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er hielt den Kopf gesenkt, rang um Worte. »Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen. Aber … ich werde erpresst.«
Dorothea nahm die Worte ohne äußere Regung zur Kenntnis. Verspürte in ihrem Innern sogar eine gewisse Genugtuung. Ihr Mann betrog sie. Seit Jahren und trotz aller Schwüre … Nun gut, dann bekam er eben jetzt die Folgen seiner hohlen Versprechungen zu spüren. Doch im gleichen Moment erschrak sie über ihre Verbitterung. Denn eine Erpressung betraf nicht nur Antonio, sondern auch sie selbst und ebenso Olivia. Jemand versuchte, von außen in das Leben ihrer Familie einzudringen, ihren Frieden und ihre Sicherheit zu zerstören. Sie musste plötzlich wieder an den anonymen Brief denken.
»Wer könnte dahinterstecken? Bestimmt dieselbe Person, die mir anlässlich unserer Hochzeit geschrieben hat. Erinnerst du dich? Du meintest damals, es handle sich um die harmlose Eifersüchtelei einer Frau, die du nicht erhört hattest.« Und auf die nunmehr Dorothea beinahe eifersüchtig war, weil der Unbekannten ein solch trostloses Eheleben erspart geblieben war.
Antonio senkte den Kopf. Sprach leise und stockend. »Nein … ich weiß, wer dahintersteckt. Ein Bursche, der mir … mit dem ich … Jedenfalls ist es zu Ende zwischen uns, und … das ist seine Revanche. Dorothea, ich habe große Angst.«
Sie richtete die Augen zum Himmel, als könne sie zwischen den vorüberziehenden Wolken eine Antwort auf ihre quälenden Fragen finden. Ein tiefer und ungewollter Seufzer entrang sich ihrer Kehle. »Also doch … und dabei hattest du immer wieder versprochen, dich zu ändern. Neulich, als du von der Reise zurückgekommen bist … was ich da an deinem Kragen gerochen habe, das war nicht dein Rasierwasser. Habe ich recht?«
Antonio saß ganz in sich zusammengesunken da, mit verzweifelter, schuldbewusster Miene. »Bitte, Liebes, verzeih mir. Ich wollte es nicht. Du musst mir glauben. Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, es nie wieder zu tun.«
»Und wem soll es nutzen, wenn ich hierbleibe? Hast du irgendeine plausible Erklärung?«
»Nur du kannst mir helfen. Wenn wir beide zusammen auf der Hacienda sind, gerade jetzt, dann schöpft niemand einen Verdacht. Ich weiß nicht, welch üble Gerüchte bereits im Umlauf sind. Du bist mein Alibi. Mein Schutzengel.«
»Großartig. Und wie lange darf ich diese noble Aufgabe erfüllen?«
»Ich werde das Geld zahlen, und dann warten wir ab, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Danach kannst du reisen, wohin du willst und solange du willst. Versprochen.«
Dorothea hatte Mühe, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut, Elisabeth wiederzusehen, von zu Hause fort zu sein, wo sie sich nicht willkommen fühlte. Weil ihr jede Begegnung mit Antonio vor Augen führte, dass er sie nicht aus Liebe geheiratet hatte, sondern weil er sich selbst retten wollte. Und weil
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