Das Land zwischen den Meeren
lassen. Mit welchem Recht haderte sie immerzu mit ihrem Schicksal? Sollte sie sich nicht viel eher an dem erfreuen, was sie hatte, als dem nachzutrauern, was sie nicht hatte? Elisabeth war so geradlinig und selbstgewiss. Daran wollte Dorothea sich ein Beispiel nehmen.
Ein Monat waren vergangen, und noch immer wirkte Antonio seltsam gehetzt. Der Hemdkragen saß ihm locker, die Hose rutschte. Er hatte weiter an Gewicht verloren. Mittlerweile war dies sogar seinen Eltern aufgefallen. Die besorgte Frage seiner Mutter wehrte er mit einer beschwichtigenden Erklärung ab.
»Mir geht es gut, Mutter. Aber manchmal arbeite ich bis in den späten Abend. Nachts wache ich dann auf und denke darüber nach, wie wir unsere Erträge steigern können. Vor der letzten Ernte mussten wir einen Teil der Pflanzen vernichten, weil die Blätter von Raupen befallen waren. Ich habe gelesen, die Schädlinge seien erstmals vor fünf Jahren in unserem Land gesichtet worden. Sie wurden wahrscheinlich mit einem Schiff von der Karibik eingeschleppt. Ich will es mit einem anderen Dünger versuchen und die Pflanzen vor der Blüte stärker zurückschneiden lassen. Gleichzeitig müssen wir widerstandsfähigere neue Sorten züchten. Ein Erfolg wird sich allerdings erst nach Jahren abzeichnen.«
Isabel schien diese Antwort zu beruhigen. Und auch Pedro nickte beifällig. »An der Universität soll es einen Engländer geben, der Forschungen mit Kaffeepflanzen betreibt. Wir sollten Kontakt mit ihm aufnehmen. Vielleicht lassen sich die Ergebnisse für unsere Plantage nutzen. Dann machen wir ihm ein Angebot und setzen einen Vertrag auf, damit er seine Kenntnisse nicht an andere weitergibt. Im Übrigen habe ich heute ein Stückchen Land dazugekauft. Für einen Spottpreis. Es liegt im Nordosten und grenzt unmittelbar an unsere Hacienda. Du solltest es dir morgen einmal anschauen, Antonio. Die Sträucher sind in tadellosem Zustand. Damit können wir erst einmal eventuelle Ernteausfälle ausgleichen.«
Bei der nachmittäglichen Teestunde auf der Veranda stellte Dorothea ihren Ehemann zur Rede.
»Du findest also nachts keinen Schlaf, weil du über die Zukunft der Plantage nachdenkst? Das ist doch sicher nicht der einzige Grund, warum du dich bewegst wie ein gehetztes Tier. Aber eigentlich kümmert es mich auch nicht. Ich will endlich ans Meer reisen und Elisabeth wiedersehen. Sie ist meine Freundin, und sie fehlt mir. Seit Wochen warte ich auf ein Zeichen von dir, damit ich endlich aufbrechen kann.«
Antonios Hand zitterte so stark, dass er seinen Tee verschüttete. Auf seiner sandfarbenen Hose breitete sich am Oberschenkel ein bräunlicher Fleck aus. »Nein, Liebes, das ist zurzeit nicht möglich. Du musst noch etwas Geduld haben.«
»Und wie lange, wenn ich fragen darf?«
Hilflos hob er die Schultern. »Das kann ich dir nicht sagen. Es ist alles noch viel schlimmer geworden. Ich habe diesem Kerl die fünfhundert Piaster gegeben. Aber dann wollte er plötzlich weiteres Geld.«
»Du hast ihn natürlich fortgeschickt und gesagt, er solle sich zum Teufel scheren«, hoffte Dorothea und erkannte im gleichen Moment an seinem verlegenen Blick und den zuckenden Mundwinkeln, dass sie sich getäuscht hatte.
»Ich habe gezahlt. Was hätte ich sonst tun sollen? Aber nicht nur einmal. Und jedes Mal forderte er mehr … Wenn etwas herauskommt, bin ich erledigt. Meine Eltern würden diese Schmach nicht überleben.«
Dorothea seufzte tief auf. »Und wie lange soll das so weitergehen?«
Antonio schüttelte den Kopf, schlug die Hände vors Gesicht. »Ich … ich weiß es nicht«, stieß er gequält hervor.
»Eine ähnliche Antwort habe ich heute schon einmal gehört.« Wut und Enttäuschung stiegen in ihr auf. Dann atmete sie tief durch und zwang sich, in Ruhe und konzentriert nachzudenken. Mit welchen Argumenten konnte sie Antonio dazu bewegen, sie doch noch ziehen zu lassen? Vielleicht, wenn er sie begleiten würde? Das Haus der Freundin war groß genug. Womöglich hätten das Meeresklima und Elisabeths Warmherzigkeit einen günstigen Einfluss auf ihn. Er könnte für einige Wochen seine Arbeit und die Sorgen vergessen und neue Kräfte schöpfen. Sich einmal nur Frau und Tochter widmen. Erkennen, was er an ihnen hatte. »Lass uns zusammen mit Olivia nach Jaco fahren, Antonio. Bitte, tu mir den Gefallen!«
»Nicht doch, das ist völlig ausgeschlossen! Am Gesindehaus müssen das Dach und die Fenster erneuert werden. Vater ist nicht in der Lage, die Arbeiter zu
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