Das Land zwischen den Meeren
beaufsichtigen. Laufen und längeres Stehen machen ihm in letzter Zeit schwer zu schaffen. Und außerdem ist das meine Aufgabe. Die Reparaturen lassen sich auf keinen Fall aufschieben. Schließlich beginnt im Dezember die Ernte. Dann bin ich wieder für mehrere Wochen auf Reisen.«
Dorothea verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Antonio verdrossen an. »Willst du diesem Menschen so viel Geld geben, bis er uns alle ausgeblutet hat und wir mittellos auf der Straße sitzen?«
Antonios Blick wechselte von einer Sekunde auf die andere, wurde sanft und innig. Seine Fingerspitzen berührten zart ihre Wange, und Dorothea erinnerte sich widerstrebend und doch lebhaft an ihre erste Begegnung. Damals hatte sie den Wunsch verspürt, sein ebenmäßiges Profil zu zeichnen. Weil dieser Mann ihr gefallen hatte und weil er etwas Besonderes ausstrahlte. Dann senkte er verlegen die Lider.
»Ich habe lange darüber nachgedacht, Liebes. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Kerl zum Schweigen zu bringen. Wir … wir müssen ein zweites Kind bekommen. Selbst wenn er irgendwelche Andeutungen machen würde … niemand würde ihm Glauben schenken. Denn eine Familie, die Nachwuchs erwartet, straft solche Worte Lügen.«
Seine Stimme hatte jenen schmeichlerischen Klang angenommen, der Dorothea weich und nachgiebig machte. Sie fühlte ein Kribbeln im Bauch, ihr Herz tat einen Sprung. Sollte ihr lang gehegter Wunsch doch noch in Erfüllung gehen? Olivia würde einen Spielkameraden bekommen, die Schwiegereltern den lang ersehnten Enkel, und Antonio würde ihr nach der Geburt eines Stammhalters die zärtlichsten Gefühle entgegenbringen und stolz auf seine Familie sein. Endlich würde doch noch alles gut werden. Antonio würde vo n seinem unseligen Tun ablassen und geheilt werden. Durc h die Kraft ihrer Liebe.
Doch dann wurde ihr bewusst, dass ihre Fantasie mit ihr durchging und sein Vorschlag keineswegs eine Liebeserklärung war, sondern nur der verzweifelte Versuch, sein Ansehen zu retten. Wie sie ihn schon zuvor durch ihre Heirat von seinem Dämon hatte retten sollen. Warum nur war ihre Ehe so kompliziert? Niemand konnte ihr in dieser schwierigen Lage Trost spenden. Sie musste alles mit sich allein ausmachen.
Mit den gleichaltrigen costaricanischen Frauen pflegte sie nur unverbindliche Kontakte. Sie waren die Ehefrauen reicher Kaufleute, Apotheker, Ärzte, Ingenieure oder anderer Kaffeebarone, die nur Sinn für Mode, Frisuren und Liebesromane hatten. Man sah sich auf Empfängen, im Theater oder bei Taufen, plauderte belanglos miteinander, und Dorothea spürte deutlich die Vorurteile, die ihr entgegengebracht wurden. Weil sie eine Einwanderin war und vor allem deshalb, weil sie vor ihrer Ehe selbst für ihren Unterhalt aufgekommen war. Das hätte keine Dame der Gesellschaft als schicklich bezeichnet oder sich gar zu einer entsprechenden Tätigkeit herabgelassen. Denn wenn eine Frau Geld verdiente, war sie entweder Schauspielerin oder Prostituierte. Was nahezu dasselbe war. Außerdem wollte Dorothea ihrerseits keine allzu engen Freundschaften eingehen. Denn irgendwo dort draußen gab es eine Intrigantin, eine Frau, die ihr den Mann neidete.
Die Einzige, der sie ihren Kummer hätte anvertrauen können, war Elisabeth, und die saß weit weg in ihrem Haus am Atlantik und war für Dorothea unerreichbar.
Ihr sollt euch lieben, achten und ehren alle Tage eures Lebens, in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod euch scheidet. Dorothea kamen die Worte des Pfarrers bei der Trauung wieder in den Sinn. Und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
Antonios allabendliche Aufwartungen waren ebenso kraftlos und ungeschickt wie schon vor mehr als fünf Jahren. Einmal saß er zitternd auf Dorotheas Bettkante und klammerte sich an ihre Hand. »Es tut mir so leid, mein Liebes. Aber ich weiß nicht … ich kann nicht. Dabei wäre ich so gern der Ehemann, den du verdienst.«
Und dann war es Dorothea, die ihren Mann tröstete, ihm Mut zusprach, obwohl ihr selbst schrecklich elend zumute war. Sie hoffte, so schnell wie möglich schwanger zu werden, damit sie dieses unwürdige Treiben beenden konnten. Drei Wochen später stellte sie fest, dass ihre Monatsblutung überfällig war. Doch sie wollte sich keine falschen Hoffnungen machen und wartete weitere zwei Wochen ab. Sie teilte Antonio mit, sie wolle in die Stadt fahren und eine Puppe für Olivia kaufen. Dies war nur ein Vorwand, um die Hebamme aufzusuchen. Es war
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