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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Wenn ich ein Brüderchen bekomme, lasse ich es auf den Boden fallen.«
    Die Wehen begannen mitten in der Nacht. Mit solcher Wucht, dass Dorothea sich schreiend im Bett aufbäumte. Fidelina, die schon seit Tagen im Gesindehaus einquartiert war, eilte umgehend zu ihr. Sie befühlte ihren Leib, was nur neue Schmerzensschreie auslöste.
    »Ist ja gut, Señora Ramirez, ich bin bei Ihnen. Sie schaffen es. Versuchen Sie, ruhig und tief zu atmen. Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser.«
    Dorothea wollte den Kopf anheben, doch dazu fehlte ihr die Kraft. Alle Energie konzentrierte sich auf ihren Unterleib, der wie mit unzähligen Messerhieben malträtiert wurde. Sie röchelte, bekam kaum Luft. Fidelina fuhr ihr mit einem kalten Lappen über das Gesicht, befeuchtete die ausgetrockneten Lippen. Dorothea strich mit den Fingern über die prall gespannte Bauchdecke, versuchte das in ihr tosende Ungeheuer zu beschwichtigen, flehte um Gnade, denn sie wusste nicht, wie sie diesen Zyklon überstehen sollte. Durch die hal b geschlossenen Lider gewahrte sie das angstvolle Gesicht der Hebamme, dann raubte ihr der Schmerz die Sinne.
    Sie träumte. Träumte, der Arzt stehe an ihrem Bett und daneben ein weiterer, ihr unbekannter Mann. Die beiden diskutierten miteinander, hantierten mit irgendwelchen Instrumenten an ihrem geschundenen Körper herum, legten ihr Ohr an den sich aufbäumenden Leib, horchten hinein. Fidelina schleppte Schüsseln voller Wasser und frische Tücher herbei, schaffte rot getränkte Stoffbündel fort. Warum auf einmal diese Aufregung und diese lauten Stimmen? Sie war doch schon tot. Blickte aus einer anderen Welt auf die bizarre Szenerie hinab, sah, wie sie auf dem Bett lag, in Stücke zerfetzt. Woher kam auf einmal das viele Blut? Und was war mit dem Kind? Hatte man es rechtzeitig aus ihrem berstenden Leib retten können? Jetzt flüsterten die Männer nur noch miteinander.
    Ihr Rückgrat zersplitterte unter einem entsetzlichen Hieb. Konnten Tote Schmerz empfinden? Oder nahmen sie die Qualen, die sie im Augenblick ihres Fortgehens litten, für immer mit ins Jenseits? Mussten ihre Seelen dort weiterleiden bis zum Jüngsten Gericht? Jemand schrie erbärmlich. Andere Stimmen vermischten sich mit den Schmerzensschreien. Sagten Worte wie »verkehrt herum«, »Blutung stillen« und »zu spät«. Seltsame Worte. Was mochten sie bedeuten? Das Schreien schwoll an, es schien ganz nahe. Kam es aus den Tiefen der Hölle, vor der die Nonnen in der Schule ihre Schützlinge immer gewarnt hatten? War sie mittlerweile selbst dort angekommen? Sie nahm einen merkwürdigen Geruch wahr, als würde etwas verbrannt. Ihr war heiß. Entsetzlich heiß. Das musste das Höllenfeuer sein, in dem sie fortan für alle Ewigkeiten schmoren würde. Aber dann überfiel sie auf einmal Kälte. Eisige Kälte, in der alles erstarrte. Ein riesiges schwarzes Loch tat sich auf, wurde zu einem Tunnel, in den sie hineingezogen wurde. Unendlich weit und immer noch weiter. Und dann war da nichts mehr. Gar nichts mehr.
    Unwirkliches Licht schimmerte durch den halb geöffneten Vorhang, zeigte einen Raum mit einem Schrank, einer Kommode, einem Ankleidespiegel und einem Bett. Am Fußende saß eine Person. Eine Frau vermutlich, und sie war eingenickt. Sie wollte nach ihr rufen, doch ihre Kehle war wie ausgedörrt. Etwas kribbelte in der Nase, erst schwach, dann immer stärker, und dann musste sie niesen.
    Bei diesem Geräusch erwachte die Frau. Sofort sprang sie auf, nahm ihre Hand, hielt sie bebend fest.
    »Señora Ramirez … endlich! Unsere Gebete wurden erhört.« Fidelina bekreuzigte sich, lief zur Tür, öffnete sie und rief etwas durch den Spalt. Dann kehrte sie zum Bett zurück und brachte Wasser. Frisches, kühles Wasser. »Ich bin so froh, Señora Ramirez. Hier, trinken Sie!«
    Sie stopfte Dorothea zwei dicke Kissen in den Rücken, doch die Hände, die das Glas greifen wollten, sanken kraftlos zurück auf die Bettdecke. Die Tür öffnete sich. Es war Antonio, der zu ihr eilte und neben dem Bett niederkniete. Behutsam nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände, küsste sie voller Hingabe und Zärtlichkeit und scherte sich nicht darum, dass Fidelina zusah.
    »Dorothea, mein Liebes, ich habe solche Angst ausgestanden.«
    »Aber wieso denn? Was ist geschehen?«, hörte sie eine brüchige Stimme fragen und stellte im gleichen Augenblick fest, dass es ihre eigene war.
    »Wir befürchteten schon, du würdest es nicht schaffen. Du hattest bei der Geburt so entsetzlich viel

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