Das Land zwischen den Meeren
Blut verloren. Und dann kam das Fieber.«
»Welche Geburt?« Dorothea versuchte zu begreifen, und ganz allmählich kehrten die Erinnerungen zurück. Unruhe befiel sie.
»Das Kind … was ist mit dem Kind? Ist es gesund? Ein Junge oder ein Mädchen?«
Etwas Feuchtes benetzte ihren Handrücken, und dann sah sie Antonios Tränen. Immer wieder umarmte und küsste er sie. »Ein Prachtkerl. Er hat dein Haar. Du bist die wundervollste Frau der Welt, Dorothea. Wie soll ich dir nur danken?«
Antonio sprach von »er« … Dann hatte sie also einen Jungen geboren. Sie zitterte vor Erleichterung und Erschöpfung. Antonio zog ein Armband und einen Ring aus der Tasche, zwei filigrane Meisterwerke aus Türkisen und Diamanten. Ihr wurde schwindelig. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Dann sank sie zurück in die Kissen, und es wurde wiederum dunkel.
Als sie aufwachte, rieb Fidelina ihr mit einem feuchten Lappen über Hals und Arme. »Nein, nicht … ich will mich selbst frisch machen.« Entschlossen setzte Dorothea sich im Bett auf, wollte die Beine über die Bettkante schwingen, doch sofort fiel sie wieder zurück. Zorn über ihre Schwäche stieg in ihr auf.
»Señora Ramirez, Sie müssen sich noch schonen.«
»Aber warum denn? Mir geht es gut. Wie spät ist es?«
Fidelina half ihr, sich aufzurichten. »Es ist elf Uhr morgens. Möchten Sie Ihren Sohn sehen?«
»Meinen Sohn? Ja, natürlich. Hat die Amme ihn denn schon angelegt?«
Fidelina setzte sich zu ihr auf die Bettkante und streichelte ihr über den Handrücken. »Señora Ramirez, wir haben heute den siebenundzwanzigsten Juni. Am sechsten Juni haben Sie Ihr Kind bekommen. Es war eine schwere Geburt. Doktor Medina Cardenas musste noch einen befreundeten Spezialisten zu Hilfe holen. Das Kind lag verkehrt herum, und wir alle befürchteten schon das Schlimmste. Aber inzwischen ist alles gut. Ich hole Ihren süßen Wonneproppen. Die Amme sagt, er hat einen kräftigen Zug.«
Dorothea lehnte sich matt zurück. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass seit der Geburt drei Wochen vergangen sein sollten. Hatte sie etwa die ganze Zeit im Bett verbracht? Sie blickte auf ihre Hände, die ihr eigenartig fremd und hager vorkamen. Als sie ihren Körper abtastete, erschrak sie. Sie war nur noch Haut und Knochen. Und dann kehrte Fidelina zurück und legte ihr ein schreiendes Bündel in die Arme, das so ganz anders aussah als Olivia nach der Geburt. Dieses Kind war viel größer und kräftiger, es hatte eine durchdringende Stimme. Und es war ihr Sohn! Der Stammhalter und künftige Erbe der Hacienda Margarita. Tränen schossen ihr in die Augen, denn auch übergroßes Glück konnte schmerzen.
Ein Dienstmädchen hatte den Brief auf das Tischchen in ihrem Zimmer gelegt. Elisabeth!, war ihr erster Gedanke, doch dann erkannte Dorothea, dass es nicht die vertraute Handschrift mit der für die Freundin typischen dunkelroten Tinte war. Sie öffnete den Brief und las ungläubig und mit rasendem Herzen.
Bilden Sie sich nicht ein, Sie hätten durch die Geburt eines Stammhalters Ihre Stellung gefestigt. Antonio hat Besseres verdient als eine dahergelaufene Ausländerin.
Ihr Erschrecken schlug in Wut um. Wer meinte das Recht zu haben, sie beleidigen zu dürfen? Anonym, feige, hinterhältig. War es dieselbe Person, die ihr auch bei der Hochzeit einen Brief zugesteckt hatte? Diesmal würde sie ihrem Mann das Schreiben nicht zeigen. Bevor der es wieder in Stücke riss. Sie wollte es aufheben. Wer auch immer diese Zeilen verfasst hatte – irgendwann würde sie die Handschrift identifizieren und ihre Widersacherin zur Rede stellen. Doch nun wollte sie die hässlichen Worte sofort wieder vergessen und sich Wichtigerem zuwenden: der Taufe ihres Sohnes.
Zur Feier waren nahezu ebenso viele Gäste geladen wie zur Hochzeit. Pedro und Isabel wurden nicht müde, von ihrer tapferen Schwiegertochter und dem wunderbaren Enkel zu schwärmen. Er wurde nach Pedros verstorbenem Vater Federico benannt. Antonio ließ sich von seinen Freunden auf die Schulter klopfen und beglückwünschen. Olivia beachtete ihren kleinen Bruder überhaupt nicht und ließ sich lieber in ihrem neuen hellblauen Kleidchen mit Spitzenkragen bewundern. Dorothea fühlte sich noch immer schwach, doch sie hatte bereits wieder einige Pfunde zugelegt. Ihre Augen glänzten, die Wangen schimmerten rosig, und Antonio zeigte deutlich, wie verliebt er in seine hübsche junge Frau war.
Auch der Arzt befand sich unter den Gästen. Nach dem Kaffee lud
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