Das Land zwischen den Meeren
Außer der Erinnerung an einige wunderbare Stunden in einem Hotelzimmer? Gar nichts, denn es gibt keine Zukunft für uns beide. Du wirst dein Leben führen und ich das meine.«
Ihre Hände suchten nach seinen Händen. »Doch, Alexander, wir werden eine gemeinsame Zukunft haben, wenn auch nicht jene, die wir uns einmal erträumt haben. Sie hat gestern bereits begonnen und wird ihre Fortsetzung finden, wenn du hierher zurückgekommen bist. Antonio wird mir keine Steine in den Weg legen, solange ich diskret vorgehe. Unsere Liebe wird im Verborgenen blühen müssen. Aber wir können uns trotzdem sehen, miteinander reisen und glücklich sein.«
Alexander senkte den Blick, ein wehmütiger Zug umspielte seinen Mund. Er seufzte tief und blinzelte eine Träne weg. Dorothea streichelte ihm über Schläfen und Wangen, presste seine Hände fest an ihr Herz.
»Mehr kann ich nicht versprechen. Aber auch nicht weniger. Glaubst du, du hältst das aus?«
»Wenn ich etwas nicht ändern kann, muss ich es eben aushalten«, flüsterte er heiser und traurig.
Reglos standen sie voreinander, sahen sich tief in die Augen, immer tiefer, bis jeder auf den Grund der Seele des anderen blickte. In diesem schmerzlichen Moment des Abschieds waren sie einander näher als je zuvor.
»Pass gut auf dich auf, mein Liebster, ich will dich so zurückhaben, wie ich dich fortgehen lasse. Jeden Tag werde ich dir schreiben und alle Briefe bis zu deiner Rückkehr aufbewahren.«
»Pass du auch auf dich auf. Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, sobald ich zurück bin. In elf oder zwölf Monaten.« Alexander beugte sich vor und suchte begierig ihre Lippen. »Dorothea …«
Noch einmal hielten sie einander umfasst, küssten sich voller Sehnsucht und Schmerz, der ein wenig gelindert wurde durch die Gewissheit, dass sie nicht für immer voneinander Abschied nehmen mussten. Irgendwann löste Dorothea sich aus der Umarmung, nahm ihren Hut und ging. Ohne sich noch einmal umzuwenden, schritt sie durch die schmale Gasse in Richtung Parque Central. Versuchte, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch plötzlich hielt sie unvermittelt inne. Von einer Sekunde auf die nächste schien der Aufruhr in ihrem Innern verstummt zu sein. Dann schritt sie ohne Zögern auf das Polizeipräsidium zu.
Der Amtsdiener vom Vortag erkannte Dorothea sofort wieder. »Ach, da ist ja die Señora, die unseren werten Herrn Polizeipräsidenten sprechen wollte. Da haben Sie aber Glück, er ist vor wenigen Minuten eingetroffen. Wenn Sie mir folgen wollen.« Er hängte ein Schild mit der Aufschrift Bitte warten! Schalter derzeit nicht besetzt an die Glasscheibe der Empfangsloge und schloss umständlich hinter sich ab. Dann humpelte er voraus, wobei er das lahmende linke Bein hinter sich herzog. Am Ende eines langen Korridors, dessen weißgetünchte Wände die Porträts sämtlicher Präsidenten der letzten hundertzwanzig Jahre zierten, verschwand der Mann hinter einer schweren Mahagonitür. Dann winkte er Dorothea zu sich heran. »Der Präsident bittet Sie einzutreten.«
Cesar Morales y Sola thronte hinter einem mächtigen Schreibtisch, den eine bronzene Skulptur der Justitia zierte, einer jungen Frau, die die Gerechtigkeit symbolisierte: mit Augenbinde, in der einen Hand eine Waage, in der anderen ein Richtschwert. Der Polizeipräsident rückte seinen Kneifer gerade und richtete ein wässrig blaues Auge auf Dorothea. Das andere wurde von einem schlaff herabhängenden Lid halb verdeckt. Dorothea erinnerte sich vage, in der Zeitung gelesen zu haben, dass der neue Polizeipräsident erst seit Kurzem im Amt war und als äußerst ehrgeizig und unerbittlich galt. Mit einer flüchtigen Handbewegung gebot er seiner Besucherin, Platz zu nehmen.
»Mein Vorsteher berichtete mir von einer Señora, die mich gestern zu sprechen wünschte. Waren Sie das?«
»Ganz recht, Señor, mein Name ist Dorothea Ramirez …«
»Unwichtig, nennen Sie nur den Grund Ihres Besuches. Eigentlich habe ich gar keine Zeit. Muss dringend zu einer wichtigen Sitzung.«
»Es geht um die Schließung der Casa Santa Maria.«
Er machte eine abwertende Handbewegung. »Erregung öffentlichen Ärgernisses, Beherbergung straffälliger Indianerinnen, Prostitution Minderjähriger … Habe bereits die Inhaftierung der Schuldigen veranlasst. Ab sofort werden in diesem Amt ganz andere Saiten aufgezogen. Ich werde dafür sorgen, dass San José zur sichersten und saubersten Stadt Lateinamerikas wird.
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