Das Landmädchen und der Lord
Avancen ein, dann bekam sie’s mit der Angst zu tun.“
„Verdammt, du beleidigst eine ehrbare Dame!“, rief Harry Pendleton erbost. „Lass Miss Hampton sofort los. Oder du musst dich vor mir verantworten!“
„Das will ich gern tun …“, begann er. In diesem Moment fing Susannah an zu würgen, aus ihrem Mund quoll bittere Galle. „Großer Gott!“ Angewidert zog der Marquess seine Hände zurück. „Offensichtlich ist ihr übel. Kümmere dich um sie, Pendleton, ich schwöre – ich hatte keine Ahnung …“
Hastig kehrte er ins Haus zurück, und Harry berührte Susannahs Ellbogen. „Sie sollten sich setzen …“
„Tut mir leid“, klagte sie, riss sich los und flüchtete hinter ein Gebüsch, um sich zu übergeben.
Geduldig wartete Harry. Als sie wieder auftauchte, reichte er ihr ein großes weißes Taschentuch. Mit bebenden Fingern wischte sie ihre Lippen ab, dann zerknüllte sie das Tuch und begann zu weinen. Lord Pendletons Schulter sah so breit und verlässlich aus. Impulsiv lehnte sie sich an ihn, und ihre Tränen benetzten seinen eleganten Abendfrack. Nach einer Weile befreite sie sich von seinem Arm, mit dem er sie fürsorglich stützte. „Oh, es tut mir so leid. Zu Hause lasse ich das Taschentuch waschen.“
„Bemühen Sie sich nicht. Behalten Sie das Tuch, bis es Ihnen besser geht. Dann geben Sie es mir. Setzen Sie sich hier auf die Bank. Bald werden Sie sich erholen.“
Kraftlos sank sie auf die Bank und schaute beschämt zu Lord Pendleton auf. „Keine Ahnung, wieso das geschehen ist. Ich habe zwei Gläser Champagner getrunken. Konnte mir davon schlecht werden?“
„Wohl kaum. Vielleicht wurde irgendetwas in Ihr Glas geschüttet. Ich habe Sie zu warnen versucht, Miss Hampton. Immerhin ist der Marquess berüchtigt für seine Missetaten. Sie wären nicht die erste junge Frau gewesen, die er verführt hätte – allerdings die erste von guter Herkunft, soviel ich weiß. Normalerweise sucht er sich Landmädchen oder die Töchter von Geschäftsmännern aus. Ob er eine Droge in Ihren Champagner goss, kann ich nicht behaupten, weil ich nichts dergleichen sah. Aber es wäre möglich. Diesem Schurken traue ich alles zu.“
„Um Himmels willen!“, klagte sie beschämt. „Wie dumm ich war! Aber er erschien mir so … aufregend. Und ich wollte ein Abenteuer erleben.“ Aus einem ihrer Augenwinkel quollen neue Tränen und rannen über ihre Wange. „So oft träumte ich von einem Ritter, der mich auf sein weißes Pferd heben und mit mir zu seinem Schloss reiten würde … Sicher finden Sie mich ganz furchtbar albern, Sir. Solche kindischen Träume hätte ich längst vergessen müssen, nicht wahr? In der Wirklichkeit geht es anders zu als in wunderbaren Märchen.“
„Manchmal sind Träume sehr angenehm“, erwiderte Harry lächelnd. „Wenn wir jung sind, versinken wir alle in solchen Fantasiewelten. Aber einem Mann wie Northaven dürfen Sie nicht trauen. Der ist rücksichtslos und niederträchtig. Ohne die geringsten Skrupel hätte er Sie benutzt, nur um sich zu amüsieren. In Zukunft sollten Sie sich von solchen Männern fernhalten.“
„Ja, ich weiß“, sagte sie kleinlaut. „Vielen Dank, dass Sie mich gerettet haben, Sir.“
„Schauen Sie nicht so unglücklich drein“, bat er sanft. „Nicht Sie trifft die Schuld an diesem Zwischenfall, sondern nur den Marquess. Hätten Sie nicht so viel Champagner getrunken, womöglich mit einer Droge, wären Sie nicht so leichtsinnig gewesen, mit diesem Mann in den Garten zu gehen. Und da ich glaube, Sie haben Ihre Lektion gelernt, werde ich nicht mit Ihnen schimpfen, Miss Hampton.“
„Oh, der Schulmeister …“ Als er sie verständnislos ansah, errötete sie. Natürlich würde sie ihm nicht von jenem Traum erzählen. „Verzeihen Sie, ich weiß nicht, was ich sage …“
„Jetzt sollte ich Ihre Mama holen. Oder fühlen Sie sich gut genug, um in den Ballsaal zurückzukehren?“
„Am liebsten würde ich nach oben gehen und mein Gesicht waschen.“ Inzwischen hatte sie sich erholt. Aber sie wollte nicht mehr tanzen. „Könnten Sie Mama sagen, ich würde mich nicht gut fühlen und gern nach Hause fahren?“
„Ja, natürlich, das wäre am besten. Die Leute sollen vermuten, Sie hätten einen kleinen Schwächeanfall erlitten. Dadurch vermeiden wir einen Skandal.“
„Wie freundlich Sie sind, Sir“, murmelte sie verlegen. „Nochmals vielen Dank.“
„Keine Ursache. Kommen Sie, ich bringe Sie ins Haus. Gehen Sie nach oben, und ich
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