Das Landmädchen und der Lord
spiegelblank poliert. In den Kristalllüstern flackerten viele Hundert Kerzen und beleuchteten die Tanzpaare, die sich anmutig im Takt bewegten. Üppige Blumenarrangements standen vor dem Podium, auf dem das Orchester spielte, und verströmten einen intensiven Duft.
Dadurch wirkte die warme Luft noch schwüler, obwohl die Terrassentüren geöffnet waren, und Susannah fächelte sich Kühlung zu. Kaum hatte sie den Saal betreten, näherten sich auch schon mehrere Gentlemen, die sie um Tänze baten. Bald war ihre Karte gefüllt, bis auf den Tanz vor dem Souper, den sie reservierte – für wen, wusste sie nicht. Aber sie wollte auf eine eventuelle besondere Begegnung vorbereitet sein.
Während der Tänze fand sie keine Zeit, um klare Gedanken zu fassen. Und so fiel ihr Lord Pendletons Abwesenheit erst kurz vor dem Souper auf. Seltsam, überlegte sie, denn dieser Ball zählte zu den bedeutendsten der Saison. Seine Lordschaft war zweifellos eingeladen worden. Plötzlich entsann sie sich, dass sie ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Das erschien ihr höchst ungewöhnlich. Doch sie kam nicht dazu, über dieses Rätsel nachzudenken. Kurz vor dem Souper trat ein Gentleman zu ihr, und ihr Herz pochte schneller.
„Miss Hampton …“ Northavens tiefe Stimme jagte einen Schauer über ihren Rücken. „Darf ich mich erkundigen, ob Sie noch einen Tanz für mich freihaben? Darum hätte ich Sie schon früher bitten müssen. Doch ich wurde aufgehalten.“
Vielleicht hatte sie den Tanz vor dem Souper für den Marquess reserviert und sich das nicht eingestanden. Einen romantischeren Gentleman kannte sie nicht, und seine gefährliche Aura faszinierte sie. Entschlossen verdrängte sie die Erinnerung an Mamas Warnung. Mochte er auch in etwas fragwürdigem Ruf stehen, er wurde trotzdem zu allen wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen gebeten. Also konnte er nicht allzu verwerflich sein.
Lächelnd schaute sie zu ihm auf, eine gewisse Herausforderung in den Augen. „Das verdienen Sie eigentlich nicht, Mylord, aber zufällig habe ich diesen Tanz noch zu vergeben.“
„Dann hoffe ich, Sie gewähren ihn mir.“ Sein eindringlicher Blick beschleunigte ihren Puls erneut. Was für ein aufregender Gentleman … „Und Sie erlauben mir danach, Sie zum Souper zu führen?“
„Ach, ich weiß nicht recht …“, neckte sie ihn und lachte über seine sichtliche Enttäuschung. „Ja, selbstverständlich, Sir. Darauf freue ich mich.“
„Ich fühle mich sehr geehrt“, beteuerte er und reichte ihr galant die Hand.
Als sie den Druck seiner starken Finger spürte, stockte ihr der Atem. Beinahe zitterte sie. Von einem solchen Moment hatte sie geträumt. Und jetzt, da es so weit war, fand sie es irgendwie nicht richtig.
Aber während sie zu tanzen begannen, entspannte sie sich und genoss die heitere Musik. Warum sollte sie nervös sein? Wenn Northaven auch ein bisschen bedrohlich wirkte – immerhin war er ein Gentleman. Außerdem konnte sie sich in einem überfüllten Ballsaal sicher fühlen. Fröhlich lachte sie über die Scherze ihres Partners.
„Miss Hampton, Sie bezaubern mich“, verkündete er und schaute ihr tief in die Augen. „Anfangs erkannte ich gar nicht, wie reizvoll Sie sind. In Zukunft muss ich mich etwas mehr um Sie kümmern.“
Statt zu antworten, lächelte sie nur. Inzwischen war ihre Befangenheit restlos verflogen, und sie benahm sich genauso wie in der Gegenwart vertrauenswürdiger Freunde – natürlich und offenherzig, ein mutwilliges Funkeln im Blick.
Nach dem Tanz bot der Marquess ihr den Arm und geleitete sie in einen Nebenraum, wo mehrere Tische standen. Ein paar Gäste hatten schon Platz genommen. An einer Wand war ein exquisites Buffet aufgebaut. Northaven führte Susannah zu einem Tisch bei einer geöffneten Glastür und rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Nun werde ich Ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen, Miss Hampton. Was möchten Sie?“
„Nur eine Weinschaumcreme, bitte, wenn es keine zu große Mühe macht.“
„Keineswegs“, versicherte er.
Während er davonging, schaute sie sich um, sah einen Gentleman eintreten und rang nach Luft. Das überraschte sie, denn bis zu diesem Moment war ihr nicht bewusst geworden, dass sie Lord Pendleton in den letzten Tagen vermisst hatte. Offenbar erschien er mit einiger Verspätung, denn die Duchess erhob sich, eilte ihm entgegen und schien ihn zu tadeln. Sie klopfte ihm mit ihrem Fächer auf den Arm. Dann nickte sie, als er antwortete. Vermutlich
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