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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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des Hauses hindurch. Hatte July sie früher mit einem Besen verjagt oder ihnen mit einem Feueranzünder gedroht, so ließ sie sie jetzt weiterziehen. Und es gab keine Missus mehr, die gequiekt hätte: »Marguerite, Marguerite! Komm schnell, da sind Ameisen!« Vielmehr blieb es so still, dass July das Geräusch der Ameisenbeine hören konnte, die über den hölzernen Fußboden trippelten. Und wie sie so in der Hängematte schaukelte, die schwach nach einem Engländer roch, schlummerte sie ein.
    Als sie erwachte, war es schon fast dunkel. Der Lärm, den Byron und Elias bei ihrer Rückkehr aus der Stadt veranstalteten, hatte sie aus dem Schlaf gerüttelt. Sie schirrten das Pferd unter so viel Gezänk ab, dass July überzeugt war, Byron habe sich wieder einmal mit zu viel Rum abgefüllt. July rief nach Molly. Als keine Antwort kam, ging sie zur Küche.
    Aber die Küche war leer, der Herd nicht angezündet. Die Jalousien waren heruntergelassen. Als Elias die Stufen zur Veranda hinaufstieg, stürzte July auf ihn los und packte ihn an den Schultern: »Haste Miss Molly gesehen?«
    Und Elias antwortete: »Nee.«
    »Wo steckt se dann?«
    Elias befreite sich aus Julys Griff, sah sie entgeistert an und erwiderte: »Die is’ mit der Missus nach England.«
    July musste einen Moment warten, um wieder zu Atem zu kommen, dann fragte sie: »Hat se mein Wurm dabei?«
    »Ja, ja«, sagte Elias zu ihr. »’s Wurm vom Massa hat se dabei.«
    Da brüllte July ihn mit herrischer Stimme an, er solle zu Byron rennen – der Wagen müsse gerichtet, ein Pony angeschirrt werden. Sie müsse in die Stadt gefahren werden, und zwar auf der Stelle, denn sie müsse ihr Wurm suchen. Auf der Stelle. Worauf er noch warte? Auf der Stelle!
    Als Elias einfach nur dastand und sie verdutzt anstarrte, gab sie ihm eine solche Ohrfeige, dass er fast zu Boden gegangen
wäre. »Aber ’s Schiff is’ schon abgesegelt«, sagte er ihr. »Hab doch zugeguckt. Fünf Schiffe sind mit der Flut davon. Was ’n Anblick, flatternde Segel, Rufe und …« Als July ihn mit großen Augen ansah, hörte Elias auf, in Erinnerungen zu schwelgen. »Keine Bange, Miss July«, fuhr er fort, »der Massa und die Missus haben ’s Wurm mit nach England genommen.« Und als July plötzlich vor ihm zu Boden sank, fragte er sie sanft: »Aber Miss July, wolltste das kleine Wurm etwa für dich behalten?«

FÜNFTER TEIL

VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Nur ich, die Mama, kann meinen Sohn Thomas zum Streit reizen. Damit du mir das glaubst, will ich dich als Gast an unserem Sonntagstisch Platz nehmen lassen. Vor dir siehst du ein weißes Baumwolltuch, auf dem zwischen Messern und Gabeln die mit zarten rosaroten und kanariengelben Rosen verzierten Porzellanteller stehen, die Lillian nur an Sonntagnachmittagen aus ihrer Vitrine entweichen lässt.
    Zu deiner Linken sitzt Miss May, die jüngste Tochter meines Sohnes. Natürlich zappelt sie – nestelt mit den Fingern an ihrem Zopf, schiebt ihren Stuhl zurück, um ihre neuen Knopfschuhe mit den Lacklederspitzen zu betrachten, klopft mit der Hand auf den Tisch und schaut aus dem Fenster. Neben ihr, mit verschränkten Armen und schmollend herabgezogenen Mundwinkeln, hat ihre Schwester Miss Corinne Platz genommen. Ihnen gegenüber sitzt Miss Louise, das mittlere Kind und die Dunkelhäutigste von den dreien, und zieht ihren Schwestern hässliche Grimassen – wenn ihre Mama, die am anderen Ende des Tisches sitzt, gerade mal wegsieht, reißt sie die schwarzen Augen auf und streckt die Zunge heraus.
    Am Kopfende des Tisches thront mein Sohn Thomas – wahrscheinlich blättert er noch in einer Broschüre, vielleicht lächelt er aber auch seine Frau an. Während deine Erzählerin, die neben Miss Louise sitzt und auf den Beginn der Mahlzeit wartet, sich wünscht, wenigstens dieses eine Mal ihren Frieden zu haben. Dabei ist sie wie bei jeder Mahlzeit in diesem Haushalt gezwungen, die drei unartigen Mädchen zur Räson zu bringen, indem sie sagt: »Sitzt still – hört auf damit – gebt
Ruhe bei Tisch.« Verweise, die ihnen ihre Mama und ihr Papa erteilen sollten, was sie leider niemals tun.
    Siehst du, aus der Küche kommt Miss Essie, unsere Haushälterin, Köchin und Wichtigtuerin, und trägt auf einer hölzernen Servierplatte die Speisen herbei. Natürlich wird sie uns wieder einmal Schweinefleisch vorsetzen – aber schieb die Schuld daran nicht ihr zu. Wie oft hat deine Erzählerin Lillian schon gesagt, dass das Schwein, das sie zu schlachten beschlossen

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