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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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verlassen hatte, saß Robert Goodwin im Bett auf und sprach erregt von Tagelöhnern.
    »Natürlich. Was für eine ausgezeichnete Idee. Die einzige Antwort auf unsere Probleme. Einwanderung. Um das Land zu bestellen, müssen wir Tagelöhner aus anderen Ländern herschaffen. Und wo wären bessere zu finden als in Indien? Auf der Insel Mauritius haben indische Arbeiter sich schon bewährt. Ja, Tagelöhner müssen her. George Sadler hat in Indien einhundert angefordert, für eine siebenjährige Schuldknechtschaft. Ich beabsichtige, das Gleiche zu tun«, sagte Robert Goodwin zu Caroline und bestand darauf, sich bald von seinem Bett zu erheben und in die Stadt zu fahren, um alles vorzubereiten. »Jeder Pflanzer auf der Insel ist derselben Meinung, Caroline. Es sind schon ganze Schiffsladungen mit Männern unterwegs. Und George Sadler hat mir versichert, dass die, die bereits eingetroffen sind, viel besser arbeiten als irgendeiner der Neger. Sie sind nie Sklaven gewesen, verstehst du, und verspüren keine Abneigung gegen Weiße. Sie sind lediglich arbeitsverpflichtet.Tagelöhner! Tagelöhner sind die Antwort, nach der ich gesucht habe. Tagelöhner werden dafür sorgen, dass auf dieser Plantage bald wieder gearbeitet wird.«
    Caroline ließ abermals den Arzt kommen und fragte ihn, ob man ihren Mann in Anbetracht seiner schweren Krankheit, seiner Ruhebedürftigkeit und der Notwendigkeit, sich zu schonen, damit sein Zustand sich nicht wieder verschlimmere, zu seinem eigenen Besten vielleicht im Bett festbinden solle.

    Der Arzt antwortete ihr: »Madam, Ihr Mann ist ein Gentleman, kein Verrückter!« Aber er verschrieb ihm doch einen ausgedehnten Besuch in der englischen Heimat, damit er fern der Quelle seines Missbehagens genesen könne.
    Und ach, wie Caroline da quiekte vor Begeisterung: »Natürlich, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Ich muss ihn nach England bringen. Ich muss ihn von hier wegschaffen. Robert, Robert, der Doktor hat entschieden, dass du sofort nach Youlgreave musst, um deine Familie zu besuchen.«
    Da sitzt Caroline Goodwin nun also, das Gesicht ganz gerötet vor Übermut, weil dies ihr letzter Abend auf der Insel ist, für … für … nun, wir werden sehen, für wie lange. Nun, da ihr Robert wieder wohlauf war, nun, da er beinahe wiederhergestellt war, sehnte sie sich danach, England zu sehen. Und sie hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, mit Robert darüber zu reden, aber in London gab es einen Mann – Bevollmächtigter eines adeligen Gentlemans, der in Bristol lebte –, der mit ihnen die Möglichkeit erörtern wollte, die Ländereien und das Herrenhaus der Plantage mit Namen Amity zu erwerben.
    Doch das erwähnte sie nicht, als sie ein letztes Mal am Esstisch saßen, bevor sie nach England absegelten. Denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihm die Geschichte von ihrer letzten Schiffsreise zu erzählen. »Robert, habe ich dir schon einmal berichtet, dass das Schiff, mit dem ich nach Jamaika gefahren bin, so unmenschlich über den Ozean geschlingert und gestampft ist, dass meine Reise nicht beschwerlicher hätte ausfallen können, wenn man mich auf den Rücken eines Wals gebunden hätte?«
    Aber wir müssen Mr und Mrs Goodwin einen Augenblick allein lassen an ihrer Tafel, schließlich haben wir die Geschichte bereits gehört, und warte … warte … ich glaube, sie wiederholt sie tatsächlich noch einmal! Lass uns rasch durch die Tür des Speisesaals in die Diele gehen. Denn dort, hinter der Tür, hatte
sich unsere July positioniert und umklammerte eine ovale silberne Servierplatte mit gewölbtem Deckel. Vor ihr stand Elias und wischte sich mit einer Hand die Nase ab, während er mit der anderen zappelnd seine kratzende Hose in Ordnung brachte. Sie beugte sich vor, so weit wie die sperrige Platte in ihren Händen es erlaubte, um ihm ihre Anweisungen ins Ohr zu flüstern. Ihr Befehl lautete, er solle den Servierteller »vor den Massa stellen, hörst du? Was hab ich gesagt?«.
    Als Elias mit den Achseln zuckte, versetzte sie ihm ungeschickt einen Tritt. »Vor den Massa, nicht vor die Missus. Was hab ich gesagt?« Elias wiederholte: »Vor den Massa, vor den Massa, vor den Massa …«, und sie drückte ihm den Servierteller in die ausgestreckten Hände und befahl: »Und bloß nicht fallen lassen.«
    Flink wie eine Eidechse, die vor einer Schlange flieht, legte Elias die zwanzig Schritte von der Tür zur Tafel zurück. July, die ihm durch den Türspalt nachspähte, tat einen ängstlichen

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