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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Ungewöhnliches. Ebenso wenig ihr Gekicher. July dachte sich nichts weiter bei dem Schweigen, das jetzt folgte.
    Sie legte Emily in ihr Bettkästchen, setzte sich auf ihre Ruhestatt und löschte die Kerze, um Wachs zu sparen. In dieser Finsternis begann ihre Zimmerdecke zu knarren. Und ein leises Stöhnen und Keuchen, gehauchte Seufzer begannen auf Julys Kopf herabzutröpfeln. Das Bett über ihr fing an rhythmisch und kräftig zu federn. Bums, bums. Eben spürte July, wie ein
wenig Staub sachte herabrieselte. Dann, klatsch! Es gefiel ihm, auf nacktes Fleisch zu patschen. Autsch! Er liebte es, zu kneifen. Au! Und zu beißen. Immer schneller ruckelte das Bett über ihrer Zimmerdecke. Und obwohl sich July mit den Fäusten die Ohren zuhielt, vergaß die Missus, Robert Goodwin den Mund zu verschließen, als er endlich seinen letzten Schrei ausstieß.
    Viele Tage hatte July damit zugebracht, die Schaben für Robert Goodwins Abschiedsgericht einzusammeln. Allerdings waren es nicht tausend Schaben, die Robert Goodwin bedroht hatten, denn sie waren immer schwerer aufzutreiben. Aber July war es doch gelungen, mehr als hundert einzufangen. Die meisten waren zerquetscht worden, denn sie ließen sich nur mit Mühe zusammenhalten. Und nicht alle waren tatsächlich Schaben, vielmehr waren Käfer und Hundertfüßler und Pillendreher und seltsam schlüpfrige schwarze Dinger dabei, die sich in den Scheißgruben ringelten. Doch alle waren sie von July sorgsam aufgelesen worden, denn allzu unbeschwert hatte man ihr den Laufpass gegeben.
    July hörte, wie Robert Goodwin nicht nur Joseph, sondern auch Byron und Elias den Befehl erteilte: »Miss July darf nicht in die Nähe des Hauses oder des Gartens gelassen werden. Sie darf nicht eher in ihr Zimmer zurückkehren, als bis wir abgereist sind. Und sie muss sich von der Küche fernhalten. Erlaubt ihr unter keinen Umständen, sich der Missus oder mir zu nähern. Ihr müsst sie warnen: Sollte sie in meine Sichtweite kommen, lasse ich den Polizisten aus der Stadt rufen, der sie ins Gefängnis sperren wird. Kapiert? Und weder eure Missus noch ich wollen uns von ihr verabschieden.«
    Am Tag der Abreise verschwand ihre Kutsche wankend und schwankend in einem Hitzeschleier. July sah ihr nach, bis der letzte schwarze Punkt sich verflüchtigt hatte.
    July wandte den Blick, um Emily zu betrachten, die zu ihren Füßen saß. Ihre Tochter gurrte ein Liedchen vor sich hin – ein
unsinniges Liedchen, denn sie wusste keine Worte dazu. Und während sie summte, spielte sie mit einem Stück Spitze, drehte es mit den Fingern um und um, bis sie mit dem Mund heftig daran zu saugen begann.
    Das Stück Spitze hatte Robert Goodwin Emily geschenkt. Er hatte gehofft, dass July daraus ein Taufkleid für seine Tochter nähen würde. Die Taufe würde nun zwar nicht mehr stattfinden, doch July beugte sich vor und versprach ihrem Wurm: »Aber das Kleid mach ich dir trotzdem.« Damit entwand sie Emilys klebrigen Fingern das feuchte Tuch.
    In diesem Augenblick fand sich Molly ein. Ohne etwas zu sagen, blieb sie vor July stehen und sah sie mit ihrem einen gesunden Auge an. Miss Molly blieb so lange stumm, dass July sie schon fragen wollte, wohin sie sich wenden wolle, nun da es im Herrenhaus keine Weißen mehr gab, die ihre ekligen Gerichte benötigten.
    Molly hob den Blick zu den Wolken und begann endlich zu reden. Sie sagte, sie habe Milch. Sie sei warm und frisch und komme direkt von der Kuh. Ob sie Miss Emily mitnehmen solle, um sie zu füttern? Dann lächelte sie July an.
    July dachte sich nichts dabei, als sie ihr das Wurm reichte, denn Molly hatte es schon oft gefüttert. Hätte sie jedoch bemerkt, dass Molly einen Hut trug – einen abgelegten Hut der Missus mit einer blauen Seidenschleife, die lustig herabhing, weil sie nicht richtig angenäht war –, vielleicht hätte sie sie weggewinkt. Ach, geneigter Leser, hätte July sich daran erinnert, dass Molly ihr ganzes Leben lang stets nur aus Gehässigkeit gelächelt hatte, vielleicht hätte sie ihr Wurm fest an sich gedrückt.
    Aber das tat sie nicht.
    July ging den Weg zum großen Herrenhaus hinauf, wo ihr jedes Fenster und jede Tür versperrt und verschlossen waren. Nur die Veranda stand ihr offen und begrüßte sie. July legte sich in Robert Goodwins Hängematte. Während sie so schaukelte, beobachtete sie eine Kolonne Roter Ameisen, die entschlossen
die Verandatreppe erklommen. In einer dünnen roten Linie marschierten sie geradewegs unter der verriegelten Tür

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