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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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mit einer Grimasse höchster Konzentration einen lauten Furz. Dann kicherte er und wedelte den durchdringenden Geruch seiner Absonderung mit der Hand weg. Abscheu umwölkte aller Gesichter. Nur Nimrods nicht, der die Sache sehr lustig fand. Als der Gestank sich verflüchtigt hatte, beruhigte er sich so weit, dass er sagte: »Nun, wie Sie wissen, Mr Godfrey, ich bin ’n freier Mann.«
    Kaum hatten diese Worte sein schiefes Maul verlassen, als Patience schrie: »Dazwischen!«

    July sprang auf und warf sich zwischen Godfrey und Nimrod. Diese Bewegung war bei allen Hausdienern auf Amity gut eingespielt; ungewöhnlich nur, dass July sie ausführte, die bei dieser Gelegenheit aber nun zufälligerweise am nächsten saß. Sie hielt die Arme zwischen den beiden ausgestreckt und blickte von einem Mann zum anderen. Molly stand bereit, um Nimrod abzufangen, falls er sich auf Godfrey stürzen wollte, und Patience, die Godfrey im Visier hatte, war bereit, das Gleiche zu tun.
    Denn diese beiden Männer konnten nie lange in Gesellschaft des anderen sein, ohne dass zwischen ihnen Streit ausbrach. Als sie zum ersten Mal aneinandergeraten waren, geschah dies wegen eines Kartenblatts. Godfrey fuchtelte mit der Schrotflinte vor Nimrods Gesicht herum und drohte damit, ihm das Gesicht zu Schweinefutter zu zerschießen, wenn er nicht gestehe, gemogelt zu haben. Bei einer anderen Gelegenheit gab es wochenlang schmollende Mienen, Proteste und Zänkereien, als Nimrod, damals noch Reitknecht auf Amity, vom Massa ein Boy zugestanden worden war, der ihm das Maultier halten sollte – sodass es in den Stallungen drei davon gab, während Godfrey in der Küche nur den einen hatte. Und ach, geneigter Leser, eben fällt mir ein, aber ob du mir das glauben wirst? Richtige Hirngespinste, denn einmal kabbelten sich die Männer darum, welchen von beiden die farbige Miss Clara von Unity wohl ansprechender finde! Alle außer diesen beiden streitenden Clowns wussten, dass Clara sich eher in Pferdemist wälzen und dann nackt die Hauptstraße entlanggehen würde, als mit einem von ihnen befreundet zu sein. Doch bei dem Versuch, diese Frage zu entscheiden, schlugen sie sich gegenseitig blutige Nasen und blaue Augen.
    Nimrod hielt Godfrey für einen Dummkopf. Denn hier war ein hellhäutiger Mann mit so vielen Chancen, seine Lage zu verbessern, wie ein Tamarindenbaum Samenkapseln hat. Doch wann hätte der Mann je auf Nimrods klugen Rat gehört? Ein
Sklave darf seinen Herrn nicht bestehlen. Den Atem, den Nimrod auf Erklärungen verschwendete, hätte er besser dazu nutzen sollen, eine kühlende Brise über die Insel zu blasen. »Mr Godfrey, alles, was Ihrem Massa gehört, gehört auch Ihnen. Wenn Sie das Eigentum von Ihrem Massa zu Ihrem eigenen Nutzen verwenden, verliert er nichts. Auch Sie sind ja sein Eigentum. Alles nur Güterausgleich. Alles, was Sie jetzt besitzen, is’ immer noch das Eigentum von Ihrem Massa. Sie haben nur auch was davon. Das kann ja nich’ schaden, oder?« Doch statt Nimrod für diese heilige Schlussfolgerung zu danken, sprach Godfrey nur von Diebstahl, Friedensrichtern, Tretmühlen, Auspeitschungen. Ha! Und wie weit hatte er es gebracht mit seiner Tugendhaftigkeit? Noch immer Sklave weißer Männer, die ihm die Freiheit genommen, ihn gestohlen und in Ketten geschlagen hatten. Und seht her, dieser Dummkopf hatte so langsam für seine Befreiung gearbeitet, dass irgendein Nigger mit Feuer und Machete seine Arbeit vollenden musste.
    Godfrey seinerseits konnte nicht ertragen, dass Nimrod – schwarz wie die Sünde, hässlich, verschlagen, derb, grob und nicht größer als ein Mädchen – ein freier Mann war. Denn Nimrods Freilassung war mit List erkauft worden. Er hatte den Massa – hinter seinem Rücken und unter seinen Augen – bestohlen, um an das kostbare Bargeld zu gelangen. In der Stadt war Nimrod bekannt für die Tanzvergnügen, die er organisierte. Alle Welt wusste, dass Nimrod bei diesen Anlässen Erster Butler war. Das hatte Godfrey dem Massa gesagt. Er hatte den Massa auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Messer, Gabeln, Teller und Kerzen, die bei Nimrods Festen benutzt wurden, aus den Vorräten von Amity stammten, ebenso der Wein, der Schnaps und oft ein oder zwei Flaschen Champagner. Godfrey hatte dem Massa die Karten gezeigt, die Nimrod hatte drucken lassen: als Einladung (und kostspielige Eintrittskarte) an seine Stammgäste – eine bunt zusammengewürfelte Menge Menschen aller Hautfarben –, wieder einmal in seinen

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