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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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dem du dich in Acht nehmen solltest.Wenn du es dennoch liest und die Windbeutelei dieses Mannes ein zustimmendes Kopfnicken bei dir auslöst, klappe mein Buch zu – denn dann möchte ich dich nicht länger zu meinem Leser haben.
    Was ich weiß, ist dies: Als jene Brände wie Leuchtfeuer auf Plantagen und in Pferchen wüteten; als Regimenter marschierten und Milizen ausgehoben wurden; als Sklaven auf die Heilige Bibel schworen, dass sie die Weißen mit Machete, Knüppel und Gewehr bekämpfen würden; als Schüsse wie tödliche Glühwürmchen blitzten; und als nackte schwarze Füße flink durch Wiese, Wald und Felder liefen – da kam das lauteste Geräusch, das deine Erzählerin auf Amity hören konnte, von Miss Hannah, die an einem von der Missus weggeworfenen Schinkenknochen nagte.

ZEHNTES KAPITEL
    »Kein großer schwarzer Nigger kommt an mir vorbei, Missus«, sagte July und hielt die Fäuste hoch, damit ihre Missus diese beiden furchteinflößenden Waffen sehen konnte – leider waren sie nicht größer als reife Pflaumen.
    Seit drei Tagen war Caroline Mortimer allein im Herrenhaus, nur die Hausbediensteten leisteten ihr Gesellschaft.Anfangs war die Missus mehr damit beschäftigt gewesen, Godfrey wegen des schmutzigen Bettlakens auf dem Esstisch auszuschimpfen und July mit dem Zeigefinger zu drohen – falls sie wirklich gestohlen habe, wie der Massa von Windsor Hall ihr vorgeworfen hatte, könne sie von Glück reden, dass sie der Bestrafung durch seine Hand entgangen sei –, als ihre eigene missliche Lage zu überdenken.
    Doch als die schweißtreibenden, schwülen Stunden an ihr vorüberzogen, ohne dass ein weißes Gesicht aufgetaucht wäre, um ihr eine zivilisierte Stellungnahme zur Situation abzugeben; als der Horizont im Westen von einem schwachen Streifen flackernden rosa Lichtes erleuchtet wurde; als ungewohnt erst in der Ferne, dann in der Nähe ein Muschelhorn ertönte; als hier und dort Hunde jaulten; als der Mond die vertraute Aussicht wieder einmal mit sonderbar trübem Licht beschien und von ihrem Bruder noch immer keine Nachricht eingetroffen war, da wurde Caroline zu guter Letzt deutlich, dass sie sich vielleicht doch Sorgen machen sollte.
    »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte sie July.
    »Keine Sorge, Missus«, antwortete July, »Ihr seid allein, ohne Weiße in der Nähe, die Euch beruhigen können – kein Massa,
kein Freund, kein Bakkra –, und wenn ich meine beiden Fäuste heb, tritt kein Nigger Euch zu nahe nich’.« Inzwischen malte sich auf Carolines Gesicht solche Angst, dass July sich an ein Schwein erinnert fühlte, kurz bevor eine scharfe Klinge ihm die Kehle aufschlitzt; denn ihre blauen Augen traten mit derselben Furchtsamkeit hervor, als müsse sie zum Herrn eingehen. Aber ihre Missus hatte noch nicht mit gleicher Leidenschaft gequiekt.
    Also legte July plötzlich die Hand ans Ohr und sagte mit einem lauten Flüstern: »Horcht, Missus, horcht. Ein Pferd, ganz in der Nähe.« Dann rannte July zum Fenster und presste Gesicht und Handflächen an die Scheiben. »Ich kann nich’ sehen, wer’s is’, Missus. Aber keine Sorge«, rief sie. »Keine Sorge, seht, meine Fäuste, se sind geballt. Die nehmen Euch mir nich’ weg, Missus. «
    »Ist das mein Bruder?«, fragte die Missus.
    Als July wieder ins Abendlicht hinausspähte, kam die verschwommene Gestalt von Pferd und Reiter in Sicht. Nachdem sie hinter der Ziegelsteinmauer des Kontors verschwunden war, tauchte die Gestalt in der Nähe der Küche wieder auf, und der Reiter des Pferdes wurde von einem Mondstrahl erfasst – denn er war ganz in Weiß gekleidet.
    Nimrod. July wusste, dass der Reiter kein anderer als Nimrod sein konnte. Und ach, wie sie da vor Freude tief ausatmete! Nimrod war aus der Stadt gekommen!
    Wie bei einem Schattenspiel beobachtete July, wie Byrons schwarze Gestalt herbeigerannt kam, um Nimrods Pferd zu halten, als dieser, strahlend wie ein Stern, abstieg, Byrons Kopf tätschelte und Lady, die Hündin, verscheuchte, die an ihm hochsprang. Dann kam der schlaksige Godfrey in den Blick – mit ausgestreckter Hand. Nimrod klopfte ihm auf den Rücken und beugte sich zu ihm, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, richtete sich aber wieder auf, als Molly ebenso ausgelassen wie die Hündin herbeigehüpft kam.

    »Nein, ’s is’ kein weißer Massa nich’, ’s is’ ’n Nigger«, sagte July höhnisch zu ihrer Missus. Aber Caroline Mortimer quiekte nicht vor Angst, wie July beabsichtigt hatte, stattdessen rannte sie

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