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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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schwamm, dann musste sie das sein und nicht irgendein rachsüchtiger Nigger. »Aber die werden meine Missus in Zucker sieden«, rief sie.
    »Miss July, sie muss in die Stadt«, sagte Nimrod. »In der Bucht liegt ein Schiff. Sie muss aufs Schiff. Da is’ se sicher.«
    »Marguerite! Lass mich heraus«, unterbrach abermals die Stimme der Missus schrill wie der Pfiff einer Fledermaus.
    »Geh und sag ihr, dass sie in die Stadt muss, Miss July, aufs Schiff«, wiederholte Nimrod und blickte dabei Godfrey an, um zu sehen, ob er mit diesem Befehl einverstanden war. Doch Godfrey gähnte nur, erhob sich von seinem Stuhl und ließ einen lauten, klangvollen Furz entweichen.

ELFTES KAPITEL
    »Vergessen!«, rief Caroline Mortimer. »Man hat mich vergessen!« Sie rannte im Zimmer vor July auf und ab, so wutentbrannt, dass der Luftzug, den sie verursachte, zwei Kerzen ausblies.
    »Alle haben mich meinem Schicksal überlassen, Marguerite. Es kümmert sie überhaupt nicht, was aus mir wird.« July beeilte sich, die Kerzen wieder anzuzünden, denn ihre Missus schrie: »Wie soll ich denn sehen, was eingepackt werden muss, wenn du im Zimmer kein Licht machst? Wird es an Bord des Schiffes Diners geben?« Bei dieser ernst gemeinten Frage sah sie July mit großen Augen an. July stand unbeweglich da – sie hatte zu viel Angst, mit den Schultern zu zucken, falls ihre Missus wieder zusammenbrechen und kostbare Zeit mit Schluchzen vergeuden würde. »Ach, warum frage ich dich überhaupt?«, sagte ihre Missus und beantwortete die eigene Frage mit dem leidenschaftlichen Ausruf: »Weil man mich vergessen hat, darum, vollkommen vergessen, und weil ich Rat brauche.«
    Ihre Hand zitterte, als sie sich auf den Fingernagel biss. »Werde ich Abendkleidung benötigen, Marguerite? Oder reicht meine gute Tageskleidung mit ein wenig Schmuck? Nun, Marguerite, du bist alles, was ich habe, was meinst du?« Da July sich bei gesellschaftlichen Konventionen nicht sonderlich auskannte, blieb ihr nichts anderes übrig, als mit den Schultern zu zucken. Da begann ihre Missus zu schimpfen. Sie stand vor July und schalt sie, sie stand hinter ihr und herrschte sie an, sie rannte an ihr vorbei und schluchzte, und plötzlich stand sie wieder vor ihr und zielte mit einem Pistol auf ihren Kopf.

    »Wozu soll die mir nütze sein?«, fragte sie. July duckte sich rasch, als die Missus mit der Waffe herumfuchtelte und ausrief: »Mein Bruder hat mich im Stich gelassen! Man hat mich vergessen. Und ich weiß nicht einmal, wie man dieses Ding abfeuert«, bevor sie das Pistol zu Boden fallen ließ.
    July ging einen Schritt auf sie zu, denn sie wollte ihrer Missus noch einmal versichern, dass sie an Bord des Schiffes, das in der Bucht lag, in Sicherheit und in Gesellschaft anderer Weißer sei. Doch noch ehe sie genug Luft geholt hatte für diese Beteuerung, schrie ihre Missus: »Und woher soll ich wissen, dass du mich nicht anlügst und mich nur aus dem Haus haben willst, damit du alles stehlen kannst, was wir besitzen? Wer hat dir von diesem Schiff erzählt? Wer ist gekommen?«
    Als July die Worte »Mr Nimrod« stotterte, erstarrte ihre Missus wie zu einer Salzsäule.
    »Nimrod ist hier?«, fragte sie und runzelte leicht die Stirn. July nickte, denn sie glaubte, bei dem Gedanken, dass Nimrod in der Nähe sei, würde die Missus sich beruhigen. Ihre Missus aber begann in verhaltenem Ton: »Er hat mit meinem Garten angefangen, Marguerite. Natürlich hat er alles Geld für die Arbeit gleich bekommen, aber ich habe ihn seit Wochen nicht mehr gesehen. Da wächst ja schon alles mögliche Unkraut. Mein Bruder sagt, Nimrod muss wohl dringendere Arbeiten zu erledigen haben als meinen Weingarten. Aber ich habe Nimrod dafür bezahlt, dass er die Arbeit zu Ende führt, und jetzt will mein Bruder kein Wort mehr von mir über die Sache hören. Ist Nimrod gekommen, um meinen Garten fertigzustellen?«
    »Nein, Missus«, sagte July. »Von Euerm Garten hat er kein Wort nich’ gesagt.«
    Der tiefe Seufzer, den die Missus hervorstieß, blies zwei weitere Kerzen aus. »Man hat mich vergessen«, jammerte sie, »man hat mich vergessen und mich allein mit Negern zurückgelassen.«

    Caroline Mortimer wippte auf den Zehenspitzen und murmelte immer wieder vor sich hin: »Ach, man hat mich vergessen. Muss ich gehen? Soll ich gehen?«, während sie an der Tür mit ihrer gepackten Habe darauf wartete, dass Godfrey mit der Kutsche vorfuhr. »Wo steckt Godfrey nur?«, fragte sie July, dann zeterte sie: »Komm

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