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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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der schwarzen Hausbediensteten hingezogen fühlte, war er doch zu dem Schluss gelangt, dass die belehrenden Worte seines Vaters als Wink gemeint waren. Ein verheirateter Mann kann tun und lassen, was ihm gefällt.
    Wenn er, so hatte Robert Goodwin überlegt, ein verheirateter Mann wäre, könnte er July behalten, zwar außerhalb seiner Ehe, aber fest in seinem Herzen. Könnte er das Versprechen, das er einer Ehefrau vor Gott ablegte, erfüllen und dennoch die Frau, der sein Herz gehörte, mit großer Zärtlichkeit behandeln. Und wer würde davon erfahren? Wer würde es ahnen? Und wenn die Leute es wüssten, würden sie bei einem verheirateten Mann doch ein Auge zudrücken. Natürlich würden sie das – er wusste, dass sein Vater es schon mehrfach so gehalten hatte. Und es herrschte solche Blindheit auf dieser karibischen Insel.
    Außerdem würde er Caroline eine größere Hilfe sein, wenn er sie heiratete. Robert Goodwin war zu dem sicheren Schluss gelangt, dass ihr ein solches Arrangement zugutekommen
würde. Wenn er nicht mehr nur Aufseher, sondern Herr von Amity wäre, würde sein Ansehen bei den Negern der Plantage steigen. Die einfachen Neger würden bestimmt alles tun, was man von ihnen verlangte, wenn er – ihr geliebter neuer Massa – es ihnen befähle.
    Bald war Robert Goodwin zu der Überzeugung gelangt, nicht nur sein Vater, sondern Gott der Allmächtige zwinge ihn dazu, sich diesen Plan auszudenken – denn er schadete niemandem und nutzte allen. Daher also ist seine Brust auf dem Porträt stolz vorgewölbt – denn seine Heirat stellte gleich zwei Frauen zufrieden, und sein Vater freute sich darüber, dass das Geschick seines Sohnes eine so gute Wendung genommen hatte. In der Tat, das Glückwunschschreiben, das er von seinem Vater erhielt, las sich so:
    Mein geliebter Sohn Robert,
    wie stolz hast du mich durch deine Heirat gemacht! Wir heißen deine neue Ehefrau Caroline mit offenen Armen in unserer Familie willkommen. Wir beten darum, dass wir eines Tages die Ehre haben werden, sie in unserem Heim hier in England ebenso bereitwillig aufzunehmen, wie wir es in unseren Herzen bereits getan haben. Es spricht sehr für die Klugheit und Reue deiner Frau, als du schriebst, wie ernsthaft sie sich wünscht, dass die Neger – die sie früher als ihr Eigentum betrachtete – so gut behandelt werden, wie es in einer Anstellung bei ihr nur möglich ist. Ich bin sicher, dass nun, da du der neue Herr auf der Plantage mit Namen Amity bist, das Unrecht jenes verabscheuungswürdigen Zustands der Sklaverei bei den Negern unter deiner Obhut nur noch eine schwache Erinnerung sein wird. Waren sie einst nichts anderes als Lasttiere, so werden sie ihren Pflichten unter deiner mitfühlenden Anleitung beglückt und freudig nachkommen können. Mein lieber Sohn Robert, du machst deiner Familie Ehre und bist der Stolz meines Herzens.
    Dein dich liebender Vater
    Auf dem Gemälde wirst du die Missus, Caroline Goodwin, auf einem Stuhl sitzen sehen – demselben, auf dem ihr zweiter Mann sich so lässig aufstützt. Sie wird geschickt aus einer Perspektive gezeigt, die ihre abfallenden Schultern und die kunstvolle Anordnung der geflochtenen Zöpfe und der Haarlocken sehr gut hervorhebt. Ihre Hände, die gesittet in ihrem Schoß ruhen, unterstreichen die sich bauschenden Falten des langen Hochzeitskleides, das sie trägt, und bringen zugleich die modisch engen Manschetten ihrer Bischofsärmel zur Geltung. In der Tat war der Künstler so darauf bedacht, die Details dieses Kleides naturgetreu wiederzugeben, dass die rosafarbene Seide schimmert, als sei der Stoff aufgeklebt.
    Da Mr Francis Bear die Frau, die ihn für die Ausführung dieses Porträts gut bezahlte, jedoch nicht kränken wollte, gestattete er Caroline Goodwin, auf dem Bild etwas schlanker zu wirken, als die, die sie kannten, sie in Erinnerung hatten. Zum Beispiel ist die Ratte, die unter ihren Röcken hervorzuhuschen scheint, in Wahrheit die Vorstellung des Künstlers vom zierlichen Fuß der Missus in einem cremefarbenen Schuh.
    Es war seine Absicht gewesen, dass Caroline Goodwin den Betrachter von der Leinwand mit einem so liebreizenden Lächeln anblicken sollte, dass alle, die sie sahen, die perfekte Szene voller Neid ins Auge fassten. Doch die Ausbildung, die der Künstler genossen hatte, hatte ihm nicht die erforderliche Kunstfertigkeit vermittelt, auch Carolines Augen lächeln zu lassen und nicht nur ihre Lippen. Wie viel Mühe sich Mr Bear auch gab (und er gab sich

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