Das lange Lied eines Lebens
aufgefordert hatte, sich zu ihnen an den Tisch zu setzen?
Das war an jenem Abend gewesen, nachdem er Marguerite beim Essen gefragt hatte, ob Pickles da seien, die er zu seinem Fleisch essen könne; dabei ging ihr Mann doch tatsächlich dazu über, sich auf eine Art Gespräch mit ihrer Negerin einzulassen. Zunächst hatte er gelacht – aus welchem Grund, konnte Caroline nicht verstehen –, als Marguerite ihn informierte, sie würde gern in die Stadt gehen, um ihm Pickles zu kaufen. Und obwohl Caroline noch immer darauf bestand, dass ihr der Schinken vorgelegt und ihre Serviette vom Boden aufgehoben wurde, wenn sie heruntergefallen war, musste sie doch warten, da ihr Mann, nachdem er Marguerite gesagt hatte, er bevorzuge scharfe Pickles, die Negerin freudig anlächelte, als sie ihm erwiderte, sie hätte gedacht, süße Pickles seien eher nach seinem Geschmack. Der Klatsch darüber, wer in der Stadt die besten Pickles mache, lief zwischen ihnen hin und her wie eine Plauderei, bis ihr Mann, vor Vergnügen strahlend, sagte: »Ach, komm und setz dich zu uns, Miss July.«
Caroline verschlug es den Atem. Und ihr Mann verwunderte sich über ihr Entsetzen. Was könne es schon schaden, wollte er wissen, wenn Miss July gelegentlich mit ihnen am Tisch sitze? Was könne das wohl schaden? Anfangs dachte Caroline, er mache einen Witz, oder vielleicht necke er sie wegen ihrer altmodischen westindischen Pflanzermentalität – das wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen. Da sie also für seinen Humor nicht unempfänglich erscheinen wollte, lachte sie mit. Denn dass eine schwarze Bedienstete am Tisch sitzen solle, als sei sie ein Gast, hätte ausgereicht, dass alle ihre Freundinnen auf der Insel offen gehöhnt hätten, sie habe zusammen mit ihrem Verstand wohl auch ihren Anstand verloren; Mrs Pemberton hätte einen Schlaganfall erlitten mit Schaum vor dem Mund. Doch Robert wiederholte den frevlerischen Unsinn nur – was könne das schon schaden? Während Marguerite mit
einem so unverschämten Lächeln zwischen ihrem Herrn und ihrer Herrin hin- und herblickte, dass man sie früher dafür ausgepeitscht hätte.
Und es war nicht etwa Carolines Protest gewesen, der ihren Mann dazu bewogen hatte, seine Meinung hinsichtlich des gesellschaftlichen Selbstmordes zu ändern, den er da von ihr verlangte. Ihre Schreie: »Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!«, die sie auf eine Weise ausstieß, die jedermann für hysterisch gehalten hätte, schienen wenig Eindruck auf ihn zu machen, außer dass er rief: »Oh, Caroline, bitte, bitte, sprich leiser.« Nein. Wer Caroline von der beschämenden Aussicht erlöste, war Marguerite, die ihm für die Einladung ruhig dankte, ihn jedoch davon in Kenntnis setzte, dass sie in die Küche zurückkehren müsse. Und Marguerite blickte mitleidig auf sie herab – dessen war Caroline sich sicher.
Kenner des Künstlers Francis Bear haben oft bemerkt, dass die Abbildung eines Negers den Gemälden, die andernfalls konventionelle Kunstwerke wären, zuverlässig einen Hauch von Exotik verleihe. So hatten also der Künstler und Caroline Goodwin, noch bevor sie sich auf einen Preis einigten, gemeinsam beschlossen, dass das Bild einen Negerjungen enthalten solle, der einen Sonnenschirm und einen Fächer trug.
In dem Kellerraum unter dem Haus wurde jedoch ein anderer Plan geschmiedet. Denn als sie hörte, dass von den Besitzern Amitys ein Gemälde angefertigt werden sollte, zappelte July aufgeregt auf Robert Goodwins Schoß und fragte: »Darf ich mit aufs Bild? Ach, sag mir, dass ich mit aufs Bild darf. Möcht so gern ’n Bild von mir. Ach, darf ich mit aufs Bild?«
Nachdem er July versprochen hatte: »Natürlich, natürlich, natürlich darf meine kleine Miss July mit aufs Bild« (er sprach mit ihr in der Babysprache, zu der er damals neigte), machte sich Robert Goodwin daran, zunächst seiner Frau und danach dem Künstler von der Idee des Jungen abzuraten, und zwar mit
der naheliegenden Begründung, dass es auf Amity, ja auf der gesamten Insel nicht einen Negerjungen gebe, der imstande sei, die erforderliche Zeit über stillzuhalten.
So wirst du auf dem Gemälde also July finden. Sie trägt ein weißes Musselinkleid und auf dem Kopf einen roten Seidenturban. Inspiriert von dem gefälligen Kontrast, den das leuchtende Rot von Julys Kopfbedeckung zu dem hellen Haar der sitzenden Frau und dem dunklen Schopf des stehenden Mannes bildete, wollte der Künstler July so malen, dass sie in aufrechter Pose
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