Das lange Lied eines Lebens
große Mühe – besserte er ihre Gesichtszüge doch volle drei Tage lang nach), ihr Lächeln verharrte hartnäckig auf ihrem Mund.
Und die Folge davon war, dass alle, die das Bild betrachteten, sich fragten, wie eine Frau, die so herzhaft zu lächeln schien, so bedrückt aussehen könne.
Caroline Goodwin war fast ein Jahr verheiratet, und doch war ihr neuer Ehemann in all der Zeit nur ein Mal – nein, zwei Mal – zu ihr gekommen. Beim zweiten Mal hatte er so viel Madeira getrunken, dass sein Organ schlaff wie die Zunge eines durstigen Hundes an ihm herabhing. Und Caroline hatte einen heimlichen Wunsch (vielleicht war es ja noch nicht zu spät für sie, mit einem so jugendlichen Mann, der ein Dutzend Jahre jünger war als sie): Sie wünschte sich Kinder. Sie würde eine sehr gute Mutter sein – niemand, der sie kannte, zweifelte daran. Doch das einzige Mal, dass sie ein Kind hätte haben können, lag lange zurück. Sie brachte es kaum über sich, daran zu denken – an jenes kleine Ding, das sie vor all den Jahren in London zur Welt gebracht hatte. Die Hebamme hatte es fortgeschafft, eingewickelt in eine Ausgabe der Evening Mail wie ein billiger Fisch. Ihr erster Mann Edmund hatte sich beschwert, dass er den Inhalt dieser Zeitungsseiten noch nicht gelesen hatte. Danach war er nie wieder wie ein Ehemann zu ihr gekommen. Und obwohl seine wichtigste Entscheidung jeden Morgen der Frage galt, ob er seine Kniehose über seinen umfänglichen Wanst ziehen oder darunter festbinden solle, sagte er Caroline, sie sei zu dick für ihn, als dass er viel Begehrenswertes an ihr finden könne.
Ihr zweiter Mann Robert dagegen war nicht dieser Meinung – er fand sie attraktiv, das beteuerte er die ganze Zeit. Nur manchmal, wenn er sie so ansah, glaubte sie … aber nein, bestimmt irrte sie sich … sie glaubte … nein, nein, er liebte sie doch … aber manchmal glaubte sie, ein wenig Verachtung zu sehen, die verschämt in seinen Mundwinkeln saß.
Es waren diese elenden Neger, die ihn so lange von ihr fernhielten. So entschlossen waren sie, die ersten Früchte ihrer Freiheit zu genießen, dass sie träger, trübsinniger und anspruchsvoller waren denn je. Jeden Abend kam ihr Mann zu so später Stunde und in einem so erschöpften Zustand zu ihr nach Hause zurück, dass er nur noch schlafen wollte. Er war einfach zu gefühlsduselig, was diese lästige Rasse anging. Marguerite
behandelte er ja fast so, als gehöre sie seinem eigenen Menschenschlag an.
Er verlangte, dass Caroline sie Miss July nenne. Er beharrte geradezu darauf. Einmal, als sie es vergessen hatte, schrie er sie an: »Unterlass das, unterlass das!« Sie wollte sich ihm verbindlich zeigen, natürlich wollte sie sich ihm verbindlich zeigen – schließlich war er ihr Mann. Aber es kostete sie solche Mühe, sich die Veränderung zu merken. Und Marguerite war ein so hübscher Name, der das Haus erfüllte, wenn sie nach ihr rief.
Sie hatte nur so vor sich hin geplappert – hatte bei ihrem Mann auf dem Schoß gesessen, seine Haare zärtlich um den Finger gewickelt und nur so vor sich hin geplappert –, als sie ihn fragte, und zwar sehr liebenswürdig, ob er nicht in Betracht ziehen könne, ihre Niggerin ebenfalls Marguerite zu nennen, statt dass sie sich die leidige Namensänderung merken müsse. Seine Laune hätte wirklich nicht ganz so plötzlich umschlagen müssen. Er hätte sie nicht zu Boden stoßen und auch nicht mit der Faust auf den Tisch schlagen müssen, als er sagte: »Aber so heißt sie nicht, Caroline. Sie heißt Miss July.« Es war doch nur so eine Idee von ihr gewesen!
Und forderte ihr Mann von ihr jetzt etwa auch noch, höflich zu »Miss July« zu sein? Wünschte er, dass sie sich, wann immer »Miss July« in ihrer Nähe war, nach ihrer Familie erkundigte? Sollte sie »Miss July« vielleicht einladen, ein Gläschen Portwein oder Madeira mit ihnen zu trinken? Wollte er, dass sie »Miss July« in ein Gespräch darüber verwickelte, ob sie dieses Jahr auf einen kühlenden Wind an Weihnachten hoffe, oder dass sie sie zusammen mit den anderen Gästen aus der Gemeinde einlud, an einer Abendgesellschaft mit einer Partie Whist teilzunehmen? Lautete seine Weisung etwa, sie habe ihrer Niggerin die Hand zu schütteln? Er hätte nicht so eine Grimasse schneiden müssen, als täte ihm schon der bloße Ton ihrer Stimme weh, und auch nicht schreien müssen: »Ach, um Himmels willen, Caroline, halt den Mund!« Was erwartete er denn von ihr, nachdem
er Marguerite
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