Das launische Eiland.
klagten und jammerten die Frauen, zerfetzten ihre Brustleibchen, rauften sich die Haare…
Nie zuvor, auch nicht am schlimmsten Trauer- und Unglückstag, niemals, auch nicht als die Boote von Fofò Fiorentino und Ciccio Tripodi zusammen untergingen und ganz Vigàta Fofò und Ciccio einander wie Brüder umarmend untergehen sah – sie, die sich ihr Leben lang mit schlechten Worten bedacht hatten –, auch nicht das eine Mal, als Savaturi Burgio, »der Fisch« – so genannt, weil sein Blut kalt wie das eines Fisches war –, da er begriff, daß es mit ihm aus war, ganz Vigàta zum Abschied zuwinkte, bevor er an die Felsen krachend starb – nie, einfach kein einziges Mal waren derart viele Vigateser Augen suchend auf das Meer gerichtet wie heute.
Im Morgengrauen des 13. Juli 1831, also vor sechzig Jahren, war Kapitän Mariano Currao aus Vigàta, der einige Zeit zuvor auf eine wunderspendende Fischbank auf der Höhe seines Dorfes in einer Gegend zwischen dem Felsen der Verlobten und der Spitze von Kap Russello gestoßen war, mit seinem Schleppnetzkahn hinausgefahren, um seine tägliche Schlacht unter den Fischen zu begehen, nachdem er, Ringelkreise wie ein Schweineschwanz fahrend und Stopps vortäuschend, alle anderen Boote hatte abhängen können. Das Geheimnis der Wunderbank hatte er nur Nino Trifiletti aus Fela anvertraut, der ein vertrauenswürdiger Mann, sein Blutsbruder und verschwiegen wie ein Grab war. Vertraute man Nino eine Sache an, dann war es so, als hätte man sie unter der Erde verscharrt. Kapitän Currao war gerade dabei, den ersten Fang an Bord zu ziehen, als der Matrose Totò Ferro, mit dem Oberkörper übers Wasser gebeugt, um das Netz einzuholen, zu Stein erstarrte und kreidebleich wurde.
»Die Fische sind alle tot.«
Als Kapitän Currao diese Worte vernahm, verlor er keine Zeit und gab Befehl zu wenden. Seit geraumer Zeit geschahen Dinge in dieser Gegend des Meeres, die ihm ganz und gar nicht geheuer waren. Einmal hörte man aus der Meerestiefe herauf ein dumpfes Geräusch, ein Donnern, das eine halbe Stunde anhielt und sich dann in einer Reihe von stärkeren, deutlich unterscheidbaren Kanonenschlägen entlud. Ein andermal war das Wasser schlagartig so warm geworden, daß man darin Nudeln hätte kochen können. Ein drittes Mal waren gelbliche Algen an die Wasseroberfläche gestiegen, die zwischen den Fingern zu stinkendem Mehl zerbröselten. Während sie aus der mysteriösen Zone herausruderten, sah Kapitän Currao, wie Nino Trifilettis Boot auf den Fischgrund zusegelte. Aufrecht am Bug stehend machte er Zeichen in seine Richtung. Ninos Kahn hielt inne, wartete, bis der von Currao an seiner Seite war.
»Was geht hier vor sich?« fragte Trifiletti den Currao, als er bemerkte, daß die Fischer auf dem Holzboot des Freundes so aussahen, als hätte kein Sonnenstrahl sie je gestreift.
»Wir fischen schon gekochten Fisch, den man bestens auftragen könnte«, gab ihm Currao Auskunft.
Auf Anraten Trifilettis hin, der obendrein ein umsichti
ger Mensch war, entfernten sie sich nach einem Weilchen. Einige Minuten darauf spürten sie von der neuen Position aus zuerst ein langgezogenes, träges Getöse, das beständig anschwoll, dann sahen sie, wie das Wasser zu brodeln begann; ihre Boote zitterten, als hätten sie das Tertianafieber, und steil vor ihnen erhob sich eine riesige Säule aus Rauch und Funken, die um sich spuckte wie ein wütender Mensch. Während die Sonne ergraute, dichte, zähe Asche beim Atemholen in die Lungen eindrang und die zu Tode erschrockenen Seeleute auf die Knie fielen und die Muttergottes und sämtliche Heilige anflehten, begriffen Currao und Trifiletti völlig verdutzt, daß sie einem nie zuvor gesehenen Schauspiel beiwohnten: Unter ihren Augen wurde eine Vulkaninsel geboren. Zwei Tage brauchte das Meer zu dieser Geburt, und die ganze Zeit krümmte es sich einmal tobend und schäumend, um dann wieder in ein anhaltendes Lamento zurückzufallen, so daß man es am liebsten gestreichelt hätte. Am 15. Juli schließlich tauchte die Insel in ihrer vollen Größe auf, und das Meer schien mit einem Schlag völlig erschöpft in den Schlaf zu fallen. Die Akademiker Jonville und Prevost aus Frankreich kamen eilends herbei, um die Insel zu studieren, und tauften sie auf den Namen »Giulia«, da sie im Juli geboren war; aus Catania stürzte der Geologe Gemmellaro herbei, dessen Lehrstuhl derzeit in der Luft hing, und da Ihre Majestät höchstpersönlich die Entscheidung
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