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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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sämtliche Zähne und das Augenlicht hatte er verloren. Doch Geduld, Geduld, Geduld, immer wieder hatte er zum Herrn im Himmel gebetet, daß der ruhig ein leeres Hemd aus ihm machen könne, doch bevor er die Augen schlösse, müsse er ihm die Gnade erweisen und Totò Barbabianca den Untergang bereiten.
    Ihm war jedoch – gewiß täuschte er sich –, als trüge ein Lufthauch ganz deutlichen Meeresgeruch herüber. Das genügte, daß er sich an eine Nacht vor vierzig Jahren erinnerte, als der gleiche Geruch nach Meer in der Luft gelegen hatte. Im Laufe der Jahre war er immer wieder Minute für Minute dieser Nacht durchgegangen und hatte Gerüche und Geräusche, Klänge und Worte wieder lebendig werden lassen. In windstiller Sternennacht hatten sie schwuppdiwupp die aus Malta geschmuggelte Seide vom Segler an Land gebracht. Sie waren zu dritt gewesen: er, Ristuccia, der ein übles Ende gefunden hatte, und Tumminello, der später nach Amerika ausgewandert war. Die Seidenballen hatten sie auf die Rücken der fünf Maultiere geladen, denen sie die Hufe verbunden hatten, damit sie auf der Straße, die sie in der Nähe von Vigàta passieren mußten, keinen Krach machten. Es war zwar schon tiefe Nacht, aber es gab immer jemanden mit unruhigem Schlaf, und Hundegebell hätte leicht die Neugier der Leute wecken können. Alles war perfekt gelaufen, bis sie schließlich vor den Stadttoren von Vigàta haltgemacht hatten, um den Maultieren die Stofflappen abzunehmen, damit sie schneller liefen. Es war die fünfte Überfahrt in diesem Jahr, und deshalb hatten sie schon eine gewisse Routine: Sie ließen das Boot an derselben Stelle anlegen, nahmen immer den einen Feldweg und machten stets kurz hinter der Abzweigung nach Taro halt, wo zwei hohe Trockensteinmauern auch bei hellem Mondlicht Schutz gewährten. Und genau dort, als sie sich bückten, um den Tieren die Stoffetzen abzunehmen… was war das gewesen? Ein Erdbeben? Er konnte sich gar nicht beruhigen. Er hatte sie nicht kommen hören, nicht von den Mauern herunterspringen sehen: Im Handumdrehen lag er bäuchlings auf der Erde, sein Kopf dröhnte von dem heftigen Schlag, den er abgekriegt hatte, und neben ihm hörte er Ristuccia jammern und die Madonna um Hilfe anflehen. Seine Betäubung dauerte jedoch nicht lange, sofort hatte er begriffen, daß sie sich gerade die Maultiere mitsamt den Seidenballen unter den Nagel rissen. Im Nu war er auf den Beinen und in Richtung der maskierten Schatten losgerannt, die sich mit der Ladung davonmachten; auf dem Weg mußte er über Tumminello steigen, der auf der Erde lag und sich vor Schmerzen krümmte. Schwach, wie er war, erwischte er nur eine der Schattengestalten am Fellumhang, doch ehe er sich's versah, hatte ein zweiter Schatten ihn fest am Arm gepackt, während ein dritter ihm heimtückisch einen kräftigen Fausthieb in den Rücken versetzte. Zumindest im ersten Augenblick war es ihm wie eine Faust vorgekommen. Aber mit einemmal spürte er, wie sein Inneres ganz eisig wurde, und Schlaf überfiel ihn, als hätte man ihm ein Mittelchen verabreicht. All seine Leiden hatten mit diesem Messerstich in den Rücken ihren Anfang genommen. Es hatte monatelang gedauert, bis er das Bett verlassen konnte, und danach stand er mit einem Fuß mehr im Jenseits als im Diesseits, und es bedurfte unendlich viel Geduld und Versprechen und Schmiergelder, um wenigstens Vor- und Nachnamen desjenigen zu erfahren, der ihn auf immer gezeichnet hatte denn das hatte er selbst begriffen, dazu brauchte er keinen Arzt, der ihm sagte, daß er nie wieder der Mann von zuvor sein würde. Das hatte er sich geschickt ausgedacht, er, Salvatore Romeres genannt Barbabianca: die Schmuggler zu bestehlen, die ihn nicht anzeigen konnten. Und wenn die Schmuggler aufbegehrten, dann wäre das Ende sicher, das er ihm hatte bereiten wollen und nur knapp verfehlt hatte. Was konnte er bloß tun? Ihn umbringen? Auf Tumminello und Ristuccia konnte er gewiß nicht zählen, das waren Leute ohne Mumm in den Knochen, und Schäden an denselben hatten sie kaum davongetragen. Barbabianca von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, daran war nicht im Traum zu denken, so wie er zugerichtet war. Er mußte sich abends hinter einem Felsbrocken auf die Lauer legen, ihn abpassen und ihm wie einer Schlange den Kopf zertreten, doch er hatte einige Jahre gebraucht, um das zu begreifen, denn er war kein Verräter, und für gewisse Dinge mußte man einfach geboren sein. Und so hatte er sich nach außen

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