Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
keine andere Wahl.«
Mit einem Schlag hatten sich all meine Träume, irgendwann mal wieder in zivilisierten Verhältnissen leben zu können, in Luft aufgelöst. »Ich will nicht weg«, sagte ich. »Hier geht’s uns doch ganz gut. Bisher jedenfalls. Je mehr Zeit wir der Welt lassen, um sich zu erholen, desto besser werden die Bedingungen sein, wenn wir dann tatsächlich gehen müssen.«
Matt lachte. Ich weiß nicht, was er daran so lustig fand: meine plötzliche Meinungsänderung oder meine Hoffnung, die Welt könne sich jemals erholen.
Die Straße wurde jetzt immer besser. Wir stiegen auf, um die restliche Strecke zu fahren. Es war niemand zu sehen, aber damit hatte ich schon gerechnet. Die meisten Leute in Howell sind entweder gleich zu Anfang weggegangen oder während des Winters gestorben.
Die Rathaustür war unverschlossen. Drinnen stießen wir auch gleich auf Mr Danworth. Vor Erleichterung kamen mir fast die Tränen.
»Wir kommen wegen der Lebensmittel«, sagte Matt. An seiner zittrigen Stimme merkte ich, dass auch er den Tränen nahe war. »Gibt es noch welche?«
Mr Danworth nickte. »Wir liefern sie nur nicht mehr aus. Ihr könnt eure übliche Menge mit nach Hause nehmen.«
»Wissen das denn auch alle?«, fragte ich. »Oder haben Sie den anderen Leuten auch nicht Bescheid gesagt?«
Mr Danworth machte ein unbehagliches Gesicht. »Wir hatten Anweisung, niemanden zu informieren«, sagte er. »Nur die Lieferung einzustellen. Wer dann kommt, kriegt seine Lebensmittel.«
»Und was ist mit denen, die nicht kommen können?«, fragte ich. »Die zu schwach sind oder zu weit außerhalb wohnen?«
»Ich habe das nicht entschieden«, sagte Mr Danworth. »Es sind ja auch schon einige aufgetaucht. Das Rathaus bleibt die ganze Woche geöffnet, für alle, die sich vielleicht noch auf den Weg machen. Ab nächster Woche haben wir dann nur noch montags geöffnet.«
»Wie lange werden Sie denn noch Lebensmittel bekommen?«, fragte Matt. »Hat man Sie darüber informiert?«
»Ich werde dir sagen, was ich weiß«, erwiderte Mr Danworth. »Viele der Großstädte – New York, Philadelphia und sogar Washington – sind komplett geräumt worden. New York war schwer von den Flutwellen betroffen. Und die anderen Städte waren offenbar auch nicht mehr sicher. Aber solange noch nicht alle Leute evakuiert waren, wurden diese Städte weiter mit Lebensmitteln beliefert. Was davon übrig geblieben ist, wird jetzt an eine Handvoll kleinerer Städte verteilt. Das geht alles nur über Beziehungen, aber die hat unser Bürgermeister ja zum Glück. Die Cousine seiner Frau ist mit dem Gouverneur verheiratet. Wir haben jedenfalls unseren Teil bekommen, vielleicht sogar mehr als das. Aber jetzt dürfen wir die Lebensmittel nicht mehr ausliefern. Vielleicht wollen sie Benzin sparen oder dafür sorgen, dass nur noch die Kräftigsten zu essen bekommen. Doch in dem Brief stand auch, dass wir zumindest noch für die nächsten Wochen mit Lieferungen rechnen können und dass sie uns Bescheid sagen, wenn’s keine mehr gibt. Wenn jemand seine Lebensmittel nicht abholt, können wir sie beim nächsten Mal auf die anderen verteilen. Vielleicht kriegt ihr dann nächste Woche sogar ein bisschen mehr als sonst.«
»Das ist grausam«, sagte ich. »Sie lassen die Leute einfach sterben.«
»Du kannst ihnen ja was abgeben, wenn das dein Gewissen beruhigt«, sagte Mr Danworth. »Bei euch draußen wohnt, glaube ich, niemand mehr. Aber hier in der Stadt gibt es schon noch einige, denen du was bringen könntest.«
»Wir nehmen jetzt unsere Lebensmittel mit«, sagte Matt. »Wir sind zu viert, aber es müssen nicht immer alle herkommen, oder?«
»Nein«, sagte Mr Danworth. »Nur einer pro Familie. Eure Tüten stehen hier schon bereit.«
Wir griffen danach.
»Mir gefällt das alles auch nicht«, sagte Mr Danworth. »Ich fand es immer schön zu sehen, wie die Leute sich freuen, wenn ich ihnen ihre Tüten gebracht habe. Aber die Regierung hat es so angeordnet. Sie macht die Regeln und wir müssen sie befolgen.«
»Wir können froh sein, dass wir überhaupt etwas bekommen«, sagte Matt. »Und wir sind Ihnen dankbar, dass das Rathaus die ganze Woche geöffnet ist.«
»Vielleicht wird’s ja bald wieder besser«, sagte Mr Danworth. »Der viele Regen. Das muss doch was zu bedeuten haben.«
»Hoffentlich«, sagte Matt. »Komm, Miranda.«
Ich nahm zwei der Tüten mit hinaus, Matt die beiden anderen.
»Sie lassen die Leute sterben«, sagte ich, während wir die
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