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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Sie beginnt
Arrivederci Roma
zu singen.
    »Was ist eine Sextinische Kapelle?«
    »Sixtinisch heißt die, und zwar, weil sie unter einem Papst Namens Sixtus erbaut worden ist.«
    Warum lacht ihr denn so?
    »Äh, nix.«
    Papa und Mama teilen Großpapas Meinung. Es gehört sich nicht, im Zusammenhang mit dem Kirchenoberhaupt »Brüetsch« zu sagen. Wie es sich auch nicht gehört, dass ich in Martigny jetzt vor Mama ins
La Couronne
gehe. Zuerst geht der Mann ins Restaurant, dann kommt die Frau und zuletzt das Kind. Das ist nur in Restaurants so, durch andere Türen geht immer die Dame oder die ältere Person zuerst, »merk dir das!«
    Unser Miramon ist festlich beleuchtet. Licht in fast jedem Zimmer, alle Gartenlampen sind an – und die Haustür ist unverschlossen. Schon im Entree kommt uns Elvira entgegen: Großpapa ist gestorben. Papa lässt alles Gepäck fallen, er rennt zum Telefon, schmettert hinter sich die Tür zu. Mama lehnt sich an die Wand und wiederholt immerfort, »nein, bitte nicht!« Tosca schwänzelt um uns herum, Elvira steht mit hängenden Armen da und blickt ins Leere. Ich kuschle mich an Mama. Nach dem Telefonanruf ist Papa völlig außer sich. Nur mit Mühe kann ihn Mama von einem überstürzten Aufbruch Richtung Naters abhalten: »Er ist tot, es ändert nichts, wenn du jetzt im Auto gleich wieder ins Wallis rast! Wenn wir uns beeilen, erreichst du noch den letzten Zug.«
    Sie packt ihm ein paar Sachen ein und bringt ihn zum Bahnhof. Ich gehe zu Konrad, aber der lässt sich nicht wecken. Nachdem ich ihn etwas zur Seite gedrückt habe, lege ich mich zu ihm ins Bett. Mir kommt in den Sinn, dass uns Großpapa aus der Zeitung etwas vorgelesen hat, etwas von Glück und Freiheit. Hat er damit das Paradies gemeint?
    Für die Beerdigung hat mir Elvira die Innenseite der Mantelkapuze schwarz ausfüttern müssen. Man darf an mir nichts Weißes sehen. Tatsächlich sind alle Leute ganz dunkel gekleidet, auch die, welche mit Großpapa nicht verwandt waren. Anton ist mit dem Zug direkt aus Stans nach Naters gekommen. Mit aller Kraft unterdrückt er die Tränen, schnupft herum, statt mal ordentlich die Nase zu schnäuzen. Konrad ist bei Tanti Schmid, für Beerdigungen ist er noch zu klein. Großpapa muss ein beliebter Mann gewesen sein, bis auf den letzten Platz ist die Kirche besetzt. Die Verwandten von Mama sind wenige Bänke hinter uns. Papa kniet schräg vor mir, neben ihm knien Helen und Bethli und Onkel Arthur und Onkel Heinrich. Der Hauptpriester schreitet zum Stuhl mit der hohen Lehne, rechts und links nehmen die beiden anderen Priester Platz. Die Messdiener sitzen auf Hockern. Wieder spielt die Orgel. Dieses Mal singt eine tiefe Männerstimme das
Ave Maria
dazu. Vor uns beginnt Papa so heftig zu weinen, dass ihm Mama ihre beiden Hände auf die Schultern legt. Bis der letzte Ton verklungen ist, verharrt sie so. Ich will mir Großpapa in dem Sarg dort unter den Blumenkränzen auf keinen Fall vorstellen aus Angst, davon zu träumen. Wir Verwandten gehen als Erste an die Kommunionbank – durch den Seitengang hinaus und durch den Mittelgang wieder zurück. Ich blicke schnell auf und nach hinten zu Brückners und Onkel Fred. Sie stehen, statt zu knien. Jetzt werden alle merken, dass sie nur reformiert sind. Onkel Hardi, immerhin, scheint wenigstens zu knien, zumindest sehe ich ihn aus keiner Reihe herausragen. Mir klebt wieder die Hostie am oberen Gaumen. Hinter den vorgehaltenen Händen löse ich sie mit der Zunge ab, endlich kann ich mich ganz aufs Beten konzentrieren.
    Wir sind so viele, dass man auf dem Friedhof ganz nah beieinander stehen muss. Das gibt ein bisschen warm.
    Beim Essen sitzen Anton und ich an einen Tisch mit anderen Kindern, alle älter als ich, aber nett. Anton ärgert mein Walliserdeutsch. »Red doch normal«, zischt er.
    Er ist der einzige, der schweigsam bleibt. Wir anderen müssen aufpassen, dass wir nicht zu fröhlich zu werden. Aber es wäre schon sehr lustig, was sie erzählen. Nämlich von einem Beichtvater, der nichts mehr hört … Papa und Mama sehe ich nur von hinten. Sie sitzen gegenüber von Onkel Heinrich und seiner Frau. Auf dem Friedhof haben sich Onkel Heinrich und Papa mit einer Umarmung versöhnt. Säße bloß Heinchen nicht auf Tanta Irmgards Schoß! Der tut so wild, dass ich Papas Ärger bis zu mir herüber spüre. Wie der Kleine nun mit dem Suppenlöffel auf einen Teller paukt und seine Jauchzer immer lauter werden, verlässt Tanta Irmgard mit ihm den Saal.
Mit einem

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