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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Italiener an. Der Große, der bei Papa steht, ist der Kommandant der Schweizer Gardisten. Zwar sieht er ohne Uniform aus wie ein gewöhnlicher Mensch, aber ich traue mich gleichwohl nicht ihn anzusprechen. Mama gibt mir einen Schubs, »los, der Uli Ruppen ist doch einer von uns!«
    Zögernd gehe ich auf die beiden zu. Es dauert eine ganze Weile, bis sie Notiz von mir nehmen.
    »Was willst du?«
    Papas Frage enthält bereits die Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen. Aber ich will es jetzt wissen: »Entschuldigung, Herr Ruppen, ich möchte Sie etwas fragen … Glauben Sie, ich meine, stimmt es, dass der Papst Wunder wirken kann?«
    Er lächelt nur stumm zu mir herab. Als auch Papa feststellt, dass eine Antwort ausbleibt, sagt er, ich solle sie jetzt nicht länger stören. »Geh zu Mama, du siehst doch, dass wir reden!« Hinter unserer Gruppe sitzt ein Mann auf seinem Koffer. Er nickt scheu, wenn jemand zu ihm hinüberschaut.
    »Ist das einer von denen, die Onkel Arthur untersucht hat?«
    »Könnte sein.«
    »Muss der zurück nach Italien?«
    »Geh und frag ihn doch, du kannst ja Italienisch, der freut sich bestimmt.«
    Ich spüre, dass Mama das möchte, aber ich tue es gleichwohl nicht. Und jetzt küsst mich auch noch die rundliche Frau mit dem gelben viereckigen Hut.
    »Eine Verwandte«, flüstert Mama.
    Die Verwandte fährt mit ihrer flachen Hand über Mamas Leopardenpelz. »Dinä Ma nagt offubar nit am Hungertüech!«
    Herr Ruppen verkündet der Reisegruppe die letzten Neuigkeiten aus dem Vatikan: »Wir Walliser bekommen Plätze in einer der vordersten Reihen!«
    Die Gruppe ist klein, Mama scheint erleichtert. Papa hat nämlich gedroht, nicht mit nach Rom zu fahren, wenn es mehr als sechs Leute sind. Organisierte Sachen hasst er seit seinem Herzinfarkt noch mehr als früher.
    Schon das zweite Mal sind Papa und Mama nun in der Eisenbahn, und ich bin die, die auf dem Perron steht. Über das halboffene Fenster gelehnt, plaudern sie mit uns, bis der Zug anfährt.
    »Häb z dier Sorg«, ruft mir Mama zu.
    Großpapa ist nicht in die Morgenmesse gegangen. »Das ist ein schlimmes Zeichen«, sagt Bethli. Sobald Onkel Arthur aus der Praxis kommt, wird er ihm den Blutdruck messen. Aber Großpapa lässt sich mittags nicht den Blutdruck messen. »Mir fehlt nichts«, und er setzt sich mit uns an den Tisch. Nachdem wir gebetet und uns gesetzt haben, zähle ich alles auf, was ich vom Papst weiß.
    »Er stammt aus einer armen Bauernfamilie. Von den zwölf Geschwistern war er der einzige, der studieren konnte. Seine Brüetsche …«
    »Soll das Brüder heißen«, fragt Großpapa in vorwurfsvollem Ton. »Rede gefälligst mit Respekt, wenn du von unserem Papst redest!«
    Helen blinzelt mir zu. »Erzähl schon weiter, wir sind gespannt, was du noch alles weißt.«
    »Mehr weiß ich nicht.«
    Zum Kaffee will uns Großpapa etwas aus dem
Walliser Boten
vorlesen. Er setzt sich mit der Zeitung in seinen Sessel, blättert zwei Seiten um, schaut auf, ob wir alle zuhören:
»Disziplin ist die Voraussetzung für Glück und Freiheit. Nur wer früh gelernt hat, Verzicht zu üben, Autoritäten anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen, kann später das Leben selbst an die Hand nehmen …«
    Die Großen haben zwar interessiert zugehört und wohl mehr verstanden als ich, aber komischerweise äußern sie sich nicht dazu. Großpapa legt den
Walliser Boten
auf den kleinen Lesetisch, klopft seine Pfeife aus, nimmt den Tabakbeutel – und legt nun beides wieder ab. Er steht auf.
    »Legen Sie sich noch etwas hin?« Onkel Arthur erhebt sich und geleitet Großpapa ins Schlafzimmer.
    Kaum ist er weg, wird das Radio eingeschaltet. »Psst«, Helen hält den Zeigefinger hoch, »jetzt kommt
Spalebärg
77
a

    Onkel Arthur setzt sich in Großpapas Sessel, wir drei sitzen am Tisch. Im Salon drüben wäre es schöner, ich könnte mich auf das Fell legen, vielleicht dürfte ich nach dem Hörspiel sogar das Klavier ausprobieren. Aber in den Salon darf man ja nicht, und das Radio ist sowieso hier im Esszimmer. Die beiden Tanten schenken sich zwei Gläschen Likör ein.
    »Süß, versuch!« Den Tanten zuliebe benetze ich die Zungenspitze.
    Abends nimmt mir Onkel Arthur den Verband vom Bauch. Meine Wunde heilt gut, er klebt nur noch ein Pflaster drauf.
    »Kannst du dein Gedicht«, fragt er, während er seine Sachen wieder in den bulligen kleinen Koffer versorgt.
    »So richtig gut nur die ersten drei Strophen.«
    Onkel Arthur hat die Türfalle zwar schon im Griff,

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