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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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dachte er. Das ist sie. Das ist ihr Leben.
    Auf der Straße heulte die Alarmanlage eines Autos los und versetzte ihm einen Stich. Er kontrollierte die Wohnungstür. Abgesperrt.
    In der Küche umschlang er Marie von hinten. Sie roch nach Bergamotte, ein wenig stärker als sonst, sie hatte sich wohl gerade erst frisch gemacht. Zart umfasste sie seinen Hinterkopf und ließ ihre Zunge kurz in seinen Mund schnellen, dann trug sie mit Bewegungen, die ihm unvergleichlich anmutig erschienen, Teetassen ins Wohnzimmer.
    Es gab weder Couch noch Stühle, noch Tisch, sondern nur mehrere Decken, die um eine Resopalplatte auf dem Boden ausgebreitet waren. Jonas stellte die Teekanne ab. Mit gekreuzten Beinen setzte er sich auf die Decke, die unter ihm verrutschte. In diesem Moment schrillte die Türklingel.
    Mit dem Tee verbrühte sich Jonas die Hand. Er schnitt Grimassen, blieb jedoch stumm.
    Das ist er nicht, flüsterte Marie. Wieso sollte er läuten? Versteck dich im Badezimmer! Vielleicht muss ich jemanden kurz hereinlassen.
    Die Luft im Bad war beklemmend feucht. Er zog den Duschvorhang zur Seite. Auf dem Boden der Wanne knisterten Reste von Schaum. Möglichst lautlos auf seine verbrannte Hand pustend, schaute er umher, aber es gab nichts, womit er sich von seiner Nervosität ablenken konnte, nicht einmal Zeitschriften.
    Draußen vernahm er Stimmen. Die von Männern oder von Frauen? Er saß auf dem Wannenrand und atmete flach. Hoffte, dass sein Handy draußen in der Jacke nicht läutete. Erst dann fiel ihm ein, dass schon die Jacke selbst ihn verriet.
    Er starrte auf die beschlagenen weißen Kacheln. Fünf Minuten vergingen. Zehn. Er wischte sich Schweiß von der Stirn. Im Spiegel sah er sich auf seine Hand blasen.
    Unwürdig, dachte er. Das ist die Strafe. Würdelosigkeit.
    Endlich ging die Tür auf. Marie winkte ihm. Eine Nachbarin, erklärte sie. Ich musste sie reinlassen, es wäre aufgefallen, sie kriegt von mir das alte Brot.
    Das alte Brot? hörte er sich fragen. Wieso, wollte er hinzufügen, aber er merkte, wie wenig ihn die Antwort kümmerte.
    Zweimal weinte Sascha, schlief jedoch gleich weiter. Ein Gewitter zog auf. Im Zimmer wurde es immer dunkler.
    Sie zog ihn an der Hand ins Schlafzimmer.
    Das gefällt mir nicht, sagte er, es ist nicht nur dein Bett.
    Ich kann dich beruhigen: Es ist mein Bett.
    Aber es ist nicht nur dein Bett.
    Aber es ist auch mein Bett, meines!
    Es ist halb zehn, sagte er mit Nachdruck.
    Eben, und ich möchte jetzt mit dir schlafen!
    Er zuckte die Schultern. Er zog das Hemd aus. Das Bett roch nach fremdem Waschmittel. Auf dem Nachttisch stand ein Wecker mit Godzilla-Motiv. Die Armbanduhr eines Mannes lag daneben, eine Schachtel Kondome, ein Einmachglas mit Marihuana. Er versuchte, nicht an den zu denken, der gewöhnlich hier schlief. Als er nackt war, wandte er sich Marie zu. Sie hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt und die Beine gespreizt. Ihre Augen waren geschlossen. Hell leuchtete ihre Haut im Licht der Nachttischlampe.
    Marie zog ihm das Kondom mit einem Griff ab, um ihn noch einmal in den Mund zu nehmen. Danach streifte sie es ihm nicht wieder über, sondern warf es mit einem geraunten Was solls! neben das Bett. Ihn faszinierte die Natürlichkeit, mit der sie es tat, die vollkommene Offenheit, die Freude, die Leichtigkeit, während er wie immer das Gefühl hatte, die ganze Welt stürze gleich über ihm zusammen. Er tauchte in sie ein und verschwand irgendwo in sich.

15
    Den ganzen Nachmittag über hatte er die Jungen quer durch den Erlebnispark getrieben, in dem man mit Wasserpistolen bis zur Größe echter Uzis aufeinander Jagd machte, damit sie am Abend früh einschliefen und er mit Helen allein sein konnte. Wirklich begannen sie schon während der ersten Geschichte, die er ihnen vorlas, tief und gleichmäßig zu schnaufen. Er kippte die Fenster, knipste die Lampe aus und schlich davon.
    Helen spielte Tomb Raider . Er wartete im Wohnzimmer, sie kam nicht. Er ging hinüber. Gleich, sagte sie, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden.
    Er machte eine Flasche Wein auf und setzte sich vor den Fernseher. Er schrieb Marie eine Liebeserklärung, die er nicht absandte, sondern für den nächsten Morgen speicherte. Er streichelte Astor und betrachtete die Kratzer an den Händen, die ihm das Tier in den vergangenen Tagen beigebracht hatte. Endlich hörte er Schritte.
    Entschuldige, sagte Helen und rieb sich das Gesicht. Ich bin müde von der Fahrt.
    Hat es dir wenigstens gefallen? fragte er und

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