Das Leben der Wünsche
würde in einem fremden Bett, aus dem er einen anderen verdrängt hatte, die Rufe eines Kindes hören, das nicht seines war. Helen würde weinen. Apok würde wahrscheinlich weinen. Dafür sah Jonas jeden Tag die Augen dieser anderen Frau, hörte ihre Stimme, ihr Lachen, lebte den Alltag mit ihr, den er sich so herbeisehnte. Fühlte ihre Hand auf dem Arm, morgens im Bad, ging mit ihr auf der Straße, saß mit ihr im Café und konnte allen sagen: Das ist sie.
Während das Lamm schmorte, räumte Jonas auf, anschließend bürstete er die Katze. Er hatte Helen versprochen, es täglich zu tun, obwohl der fette Astor mit einer Rassekatze kaum zu verwechseln war, besonders heute, weil die Kinder ihn mit Saft begossen und dann gefönt hatten.
Weil die Jungen Ruhe gaben, schlichtete Jonas im Schlafzimmer Bücher um. Beim Blumengießen bemerkte er, dass ein Heizkörper tropfte. Er entlüftete ihn. Das Gewinde blieb trocken. Tom und Chris verfolgten seine Handgriffe mit großen Augen. Alles musste er ihnen genau erklären. Als er ihnen auch Kochen genau erklären wollte, liefen sie davon.
W-wieso k-kochst du eigentlich so g-g-gut? fragte Joey beim Essen.
Notwehr, sagte Jonas.
Irina läutete Punkt halb acht, wie üblich zehn Sekunden lang. Geschminkt war sie, als warte auf sie ein Cocktailabend. Zum ersten Mal fielen Jonas ihre Brüste auf. Beschämt verdrängte er den Gedanken.
Joey gab Irina die Hand, ohne sie anzusehen.
D-deine St-Stiefel s-sind schön.
Irina drehte sich weg, warf die Haare zurück und tat so, als spucke sie aus.
Was ist das denn? rief Jonas.
Joey ist eine Trantüte. Sie wiederholte die Geste.
Mal langsam, sagte Jonas milde.
Ich g-gehe wieder r-rüber.
Die Kinder kamen aus dem Zimmer gelaufen und fielen über Irina her. Sie legte sich auf den Boden und ließ sich unter Scheinprotest mit Murmeln überschütteln. Scherzhaft schimpfte sie auf die Jungen ein, packte einen links, einen rechts und drückte sie an sich.
Chris! Bist du gewachsen? Du bist gewachsen!
Noch Fragen? Dann gehe ich jetzt.
Darf ich rauchen?
Er steckte den Autoschlüssel ein und zog die weißen Turnschuhe an. Er wusste nicht, ob er Irina schon geantwortet hatte. Er sagte, es sei noch etwas vom Braten da, sie solle sich bedienen.
Tom hängte sich auf seinen Rücken, Chris hielt ihn am Hosenbein fest. Für einen Moment war er knapp davor, eine SMS zu schicken und zu bleiben. Aber dann tauchte ihr Bild vor ihm auf, der sanfte Zug um ihre Augen, und er konnte nicht anders, als alles zum Teufel zu schicken, alle Bedenken, das schlechte Gewissen, die Stimmen der Kinder, die Trauer, die Frage, was morgen sein würde und was übermorgen.
14
Knarrend kämpfte sich der alte Lift Stockwerk um Stockwerk hinauf. Jonas betrachtete sich in dem zerkratzten Wandspiegel, an dessen Rändern Kaugummi klebte. Auf seiner Wange hing eine Wimper. Mit geschlossenen Augen blies er sie vom Zeigefinger und wünschte sich, dass Apok nicht zu früh heimkam.
Er las die Botschaften an den Wänden, manche mit Kugelschreiber oder Filzstift geschrieben, andere mit kantigen Zeichen ins Holz gekratzt. Liebesschwüre, Schmähungen, Telefonnummern. Mit einem Kugelschreiber schrieb er oben in eine Ecke das Datum. Der Lift hielt. Rasch steckte Jonas den Stift weg. Die Tür ging auf, Marie stand davor und drückte sich an ihn.
An der Hand führte sie ihn durch das Halbdunkel des Treppenhauses in ihre Wohnung. Sie sperrte ab und griff wieder nach seinen Händen. Als er ihre Zunge gegen seine Zähne stoßen fühlte, umarmte er sie so fest, dass sie die Schultern nach hinten bog, sich von ihm löste und aufstöhnte.
Sie verschwand in der Küche. Er öffnete die Tür, zu der sie ihn mit einer flüchtigen Handbewegung geschickt hatte. Das Wohnzimmer roch dunkel nach Holz und Leder. Hunderte von Schallplatten standen in massiven Holzregalen, davor stand ein Schaukelstuhl, gegenüber ein lebensgroßer Löwe aus Schaumstoff, auf dem man sitzen konnte, nicht einmal unbequem. Der Löwe trugeinen echten Hut, eine Jacke, eine Hose mit Hosenträgern und sogar Hausschuhe.
Vor einer Kaminattrappe lagen große Steine. Vergeblich versuchte Jonas, einen anzuheben. An der Wand hing ein Spiegel mit altem Bronzerahmen. Nervös prüfte er sein Aussehen. Besser als im Lift.
Scheu schlich er umher. Das Zimmer war niedrig und nicht sehr hell. Unter seinen Strümpfen knarrte das Parkett. Er nahm den Holzgeruch auf, er strich mit der Hand über Gegenstände. Hier lebt sie,
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