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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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als müsse er gähnen, streckte sich, rieb sich die Augen und verabschiedete sich knapp.
    Im Schlafzimmer donnerte er seine Schuhe gegen den Schrank. Noch einmal ging er hinaus, um zu kontrollieren, ob er abgesperrt hatte. Er legte sich hin und grub das Gesicht in eines von Helens T-Shirts. Als er ihren Geruch wahrnahm, erfasste ihn ein Schmerz, den er nicht erwartet hatte. Er spürte die Tränen kommen.
    Nein! rief er, nichts da! Sofort aufhören!
    Er lehnte sich aus dem Fenster. Ein Sportwagen fuhr dröhnend vorbei. Das alltägliche Geräusch ließ ihn nüchterner denken, half ihm, sich an den Streit zu erinnern, die Gleichgültigkeit und das Einerlei. Helen fehlte ihm trotzdem. Er schaute auf sein Handy. Keine Nachricht.
    Eine Stunde las er, zwei Stunden. Barfuß ging er zur Toilette. Alles ruhig. Er holte sich ein Glas Milch. Er sortierte Wäsche und ordnete Bücher und spielte mit dem Telefon. Konnte er Marie nicht doch eine SMS schicken? Seine Sehnsucht nach Kontakt mit ihr, und sei es auch nur ein so steriler, abstrakter wie das Aufleuchten einiger Zeichen auf einem Display, war so bohrend, dass er tatsächlich eine lange Nachricht aufsetzte, nur um sieschließlich doch wieder zu löschen. Er hätte Marie dem Risiko ausgesetzt, dass ihr Russe etwas merkte, am Abend ging es nur mittwochs und sonntags, wenn sie schwimmen war.
    Er fühlte nicht das geringste Anzeichen von Müdigkeit.
    Er knipste das Licht aus. Er schloss die Augen, obwohl er hinter den Lidern Blitze sah, gleißendes Licht. Er versuchte bis tausend zu zählen, doch seine Fantasie glitt an den Zahlen ab. Er dachte an Marie. Ans Büro, an Autowaschanlagen, an Schuhe, an Ninas Beine, an Werner. An die Kinder.
    Um zwei zog er sich an, setzte sich ins Auto und ließ das Radio laufen. Er hatte einen tauben Geschmack im Mund. Auf der Suche nach Bonbons oder einem Kaugummi kramte er im Handschuhfach. Hinten lag zwischen den Kindersitzen eine Tüte Kartoffelchips. Sie schmeckten schal. Er aß die Packung trotzdem leer.
    Langsam fuhr er durch das Viertel. Wenig los. Offenbar waren die Leute im Urlaub. Die Türen zu Gasthäusern standen offen, und mancherorts ertönte Musik, doch Menschen sah er nicht.
    Die Tankanzeige war im roten Bereich. Im Radio spielten sie einen Ohrwurm, er drehte ab. Der Salzgeschmack in seinem Mund machte ihm Lust auf frische Kartoffelchips, und er hielt an der nächsten Tankstelle. Zu spät erkannte er, dass hinter den Fenstern nur fahles gelbes Licht brannte, sie schien nicht besetzt zu sein.
    Während er auf den Eingang zum Shop starrte und sich fragte, ob er wohl je wieder an einer Tankstelle stehen würde, ohne das Loch im Gesicht des Kassiers zu sehen, rief jemand hinter ihm seinen Namen. Jonas erkannteden Mann nicht. Er sah Guy ähnlich, einem ehemaligen Freund, den er aus den Augen verloren hatte.
    Guy winkte und rief etwas aus seinem Auto heraus. Es klang wie: Fahr mir hinterher! oder nur: Hinterher!
    Einen Moment stand Jonas da, die Hände im Nacken verschränkt, und sah dem schwarzen Kombi nach. Er sprang ins Auto. Als er mit hoher Geschwindigkeit Guys Wagen folgte, empfand er prickelnde Spannung. Er fuhr gern schnell.
    Wie lange hatte er Guy nicht gesehen? Sieben Jahre? Zehn? Dann wusste Guy wahrscheinlich nicht einmal, dass Jonas Kinder hatte, geschweige denn das von seiner Frau.
    Leicht machte es ihm Guy nicht, zu ihm aufzuschließen. Viel zu spät sah Jonas so die geöffnete Tankstelle und konnte nur mit der Lichthupe Alarm geben, nachdem sie schon vorbeigebraust waren. Guy fuhr jedoch nicht langsamer, sondern raste im Gegenteil noch bei Gelb über eine Kreuzung. Auch schon egal, dachte Jonas und nahm die Ampel bei Rot.
    Die Straße führte aus der Stadt hinaus und auf den Berg hinauf. Jonas gab Gas, als wollte er Guy in der Kurve überholen. Guy beschleunigte seinerseits wieder, sodass es den Wagen beinahe aus der Kurve getragen hätte. Jonas sah die Tachometernadel auf hundert stehen und kam zur Besinnung. Er blinkte rechts als Zeichen, es sei genug. Tatsächlich verringerte Guy das Tempo und blinkte ebenfalls rechts. Jonas fragte sich, wo hier oben eine Tankstelle kommen sollte, doch er folgte ihm.
    Endlich fuhr Guy langsam. Sie kamen in einen Wald, eine Tankstelle war also wohl nicht sein Ziel. Die Asphaltstraße ging in einen Feldweg über. Immer öfter schlugenZweige gegen die Windschutzscheibe, der Wagen rumpelte durch tiefe Schlaglöcher.
    In Jonas wuchs das Gefühl, etwas stimme nicht. Guy hatte immer Scherze

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