Das Leben der Wünsche
der Rastafrau auf.
Er scrollte in der Adressliste zu Marie und betrachtete die Buchstaben, die ihren Namen bezeichneten. Längst nicht mehr Werner Handy 2, sondern Marie. Nur: Marie. M-a-r-i-e.
Eine Weile saß er da und ließ zu, dass ihm die wandernde Sonne auf den Kopf brannte. Die Rastafrau lächelte ihn an. Geistesabwesend lächelte er zurück.
Er fuhr nach Hause, drehte laut Musik auf, legte sich auf den Balkon. Als die Sonne hinter die Bäume sank, zog er sein T-Shirt wieder an. Er telefonierte mit Lea und Frank. Den Jungen ging es gut, und Chris war wieder zwei verbürgte Zentimeter gewachsen. Er schrieb Nina eine SMS, später käme eine Doku über Island, und zog sich um, ohne einen Gedanken, von sich selbst in Bewegung gesetzt wie ein Roboter.
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Nach dem Essen gingen sie ins Schlafzimmer. Beim Ausziehen blieb er mit einem Fuß im Hosenbein hängen und tanzte auf dem anderen umher. Evie lachte. Schaffst du es, oder soll ich dir helfen? Bin schon da, sagte Jonas und legte sich auf die freie Bettseite.
Erst war er scheu und sah zu, wie Werner und Evie einander küssten. Sie griff nach Jonas, dann machte er mit. Erst schlief Werner mit ihr, und sie hatte Jonas im Mund. Sie schmatzte laut. Du hast einen schönen Schwanz, sagte sie.
Werner wollte wechseln. Ganz langsam, sagte er.
Während Jonas Zentimeter für Zentimeter in Evie eindrang, starrte Werner auf seinen Schwanz. Jonas fickte Evie. Den Kopf hatte sie zurückgelegt, die Augen geschlossen. Werner schaute auf ihre vor- und zurückschaukelnden Brüste. Sie war laut, und Jonas ließ sich Zeit. Er kam auf ihrem Bauch. Werner legte sich auf sie, Jonas sah zu. Später blies ihn Evie wieder, und er glitt noch einmal in sie. Werner ging hinaus. Einige Zeit darauf bemerkte Jonas, wie Werner heimlich zur Tür hereinspähte. Er fickte Evie von hinten, und ihre baumelnden Brüste schlugen gegeneinander. Sie stöhnte, ein paarmal rief sie seinen Namen. Werner schaute.
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Um halb sechs, als ihn ein Krakeeler auf der Straße weckte und Jonas in heilloser Sehnsucht nach seinem Telefon am Nachttisch griff, hatte er tatsächlich eine SMS.
Wenn du Zeit hast, ruf an, es geht mir nicht gut.
Für Annes Verhältnisse war das ein massiver Hilferuf. Er rief an, sie hob nicht ab. Er rieb sich das Gesicht, trank im Stehen eine Tasse Kaffee vom Vorabend, an dem er zwei von Joeys Tierfilmen über sich hatte ergehen lassen, und machte sich auf den Weg.
Um diese Uhrzeit war der Verkehr reibungslos. Nach einer Viertelstunde parkte er hinter der Bushaltestelle, auf seinem alten Platz neben den Werbeplakaten.
Plötzlich standen vor ihm deutlich die Erinnerungen an die Zeiten, als er hier morgens zum Bus gegangen war und abends den verbogenen Schlüssel, den mit den Kerben und dem grünen Klebeband daran, ins Haustürschloss gesteckt hatte. Er hatte den Geruch nach Fertigessen noch in der Nase, der sich am Abend im Treppenhaus ausbreitete, und hörte die Stimmen der Halbwüchsigen, die vor dem Haus ihre Mofas reparierten. Wie lange war das her? Sieben Jahre? Hundert?
Er läutete an der Gegensprechanlage, da, wo nur noch Annes Name stand. Er wartete, läutete wieder. Annes verschlafene Stimme war zu hören.
Sie öffnete im Bademantel, sie trug ein zitronengelbes Kopftuch. Ihr wortlos zunickend, ging er an ihr vorbeiin die Küche, in der leere Gläser und Rotweinflaschen standen, und setzte Kaffee auf. Im Kühlschrank fand er Orangensaft, er trank gleich aus der Packung, während Anne mit verschränkten Armen danebenstand. Er machte das Fenster auf, und der frische Luftzug blies einen Pizzaprospekt vom Regal.
Wie spät ist es eigentlich? fragte Anne.
Sie war barfuß, und eine unheimliche Sekunde lang staunte Jonas darüber, wie gut er diese Füße kannte, wie vertraut ihm die Form des Spanns war und sogar die Farbe des Nagellacks.
Was war los? fragte er.
Ich habe mich mit Siad gestritten.
Und ich dachte, es sei etwas Ernstes!
Dachte ich ja auch. Es war eben schon spät. Du weißt doch, wie die Nacht ist.
Dunkel, sagte er.
Vor allem dunkel, ja.
Sie frühstückten da, wo sie früher miteinander gefrühstückt hatten. Hinter Anne hing immer noch der Wandteppich, den sie von dubiosen Verwandten aus Osteuropa geschenkt bekommen hatte. Im Grunde war alles wie damals, auch die Musik, der weiche Jazz im Hintergrund, den Anne anregend fand und er einschläfernd. Doch je länger er hiersaß, desto klarer erinnerte er sich, warum er hier nicht mehr hatte sitzen wollen. Hier
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