Das Leben der Wünsche
weit und breit nichts zu sehen als Gesträuch, Feld und schütterer Wald, hinter dem irgendwo das Meer anbrandete.
Marie steckte den Fotoapparat mit einem Schulterzucken zurück in die Tasche. Schweigend fuhren sie bis zum nächsten Ort. Im einzigen Viersternehotel nahmen sie sich ein Zimmer. Es gab Minibar, Klimaanlage, Fernseher mit DVD-Player, Pay-TV, Radio in der Duschkabine. An den weißen Wänden klebten blutige Moskitoflecken.
Auf dem Bett ausgestreckt, rief Jonas Lea an und ließsich die Jungen geben, die sich fröhlich anhörten. Danach sprach Marie auf der anderen Seite mit ihrer Schwester.
Alles okay? fragten sie gleichzeitig, nachdem Marie aufgelegt hatte.
Tom und Chris besteigen Berge, sagte Jonas, und ihr Vater geht ihnen nicht allzu sehr ab.
Sascha hatte eine schlechte Nacht. Er zahnt. Muss ich mit Sorgen machen, weil ich nicht bei ihm bin?
Du musst nicht, aber du kannst, wenn du magst. Oder du kommst mit mir zur Poolbar.
Die Poolbar hatte ein Strohdach und war von Palmen gesäumt. Der Barkeeper trug eine Baseballkappe, er war höchstens sechzehn. Einige Gäste schwammen, andere sonnten sich auf Liegestühlen, drei junge Männer zeigten Kunstsprünge vom Einmeterbrett. An der Bar saßen zwei Paare vor bunten Cocktails mit Sonnenschirmchen. In der Luft lag der Geruch von Chlor und Schnaps.
Marie duschte und hechtete ins Wasser. Die Springer beobachteten sie. Jonas zeigte auf das Glas des Mannes neben sich und sagte zum Barkeeper: Geben Sie mir dasselbe.
Mit dem Rücken zur Bar sah er Marie bei ihren Längen zu. Als sie vor ihm am Beckenrand anschlug, prustete sie und griff nach seinen Füßen, er brachte sie jedoch rechtzeitig in Sicherheit. Über ihm hing ein Autoradio im Retro-Design, das aus handtellergroßen Boxen Sommermusik spielte. Das Paar neben ihm war betrunken, das andere hielt sich im Hintergrund.
Er baute ein Bierdeckelhaus und betrachtete neue Bargäste. Einige Männer, deren schöne, durchtrainierte Körper von Hals bis Fuß tätowiert waren, tranken Tequilarapido und tauschten mit drei Frauen herausfordernde Bemerkungen aus. Eine ältere Frau, deren nackte Brüste bis zum Bauch hingen, rauchte lange dünne Zigaretten, rührte in ihrem Eiskaffee und warf Jonas verschlagene Blicke zu.
Marie schmiegte sich von hinten an ihn. Sie war trocken, aber kalt, und seine Bierdeckelburg geriet ins Wanken, doch er tat ihr nicht den Gefallen aufzuschreien. Sie legte ihr Badetuch auf den Hocker neben ihn und machte sich auf in Richtung Umkleidekabine, von den Blicken der Tätowierten begleitet.
Jonas schwang sich auf seinem Hocker herum. Die Sonne stand tief. Er legte den Kopf in den Nacken und kniff die Augen zusammen. Durch eine offene Balkontür drang aus einem Gästezimmer kunstvolles Trompetenspiel. Direkt vor Jonas stemmte sich ein Schwimmer am Poolrand hoch, als wollte er heraussteigen. Er verharrte jedoch in seiner Haltung, sah Jonas fest an und sagte:
Kapitalismus, Spiritualität.
Dann ließ er sich langsam ins Wasser zurückgleiten.
8
Im Ort fand Jonas einen Laden mit billigen Wertkartenhandys. Er schickte Anne eine SMS. Antwort kam keine.
In der vergangenen Nacht gab es Wassereinbrüche, die sich wiederholen könnten, sagte der Rezeptionist. Ihr Auto sollten Sie vielleicht nicht über Nacht in der Garage lassen.
Was für Wassereinbrüche?
Wasser! Eine Flut!
Wir sind hier doch hundert Meter vom Meer entfernt!
Glauben Sie mir, wir haben uns auch gewundert!
Jonas forschte im Gesicht des Mannes, ob er ihn zum Narren halten wollte, dann zuckte er die Schultern und nahm den Schlüssel wieder vom Pult. Er parkte den Wagen hinter dem Tennisplatz, wo sich zwei ältere Männer in Weiß ein leidenschaftliches Match lieferten.
Als er den Schlüssel abgab, entdeckte er die unscheinbare Videothek neben dem Eingang zum Hotelrestaurant. Man konnte DVDs leihen und mit aufs Zimmer nehmen. Jonas nahm eine Komödie, Marie einen Thriller.
Nach dem ersten Film dämmerte es. Sie waren müde. Vom Zimmerservice ließen sie sich Kaffee bringen. Sie schliefen miteinander, Marie wurde laut. Jonas kam nach ihr, obwohl ihm unten alles wehtat, weil er schon wundgerieben war.
Ich muss dir etwas zeigen, sagte er.
Wegen der Insekten schlossen sie Türen und Fenster, ehe sie Licht aufdrehten. Aus der Reisetasche holte er die Fotos, die er jeweils am Ersten des Monats von sich gemacht hatte, und legte sich zu Marie aufs Bett.
Weißt du, was ein Daumenkino ist?
Sie nickte. Einzelbilder, die
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