Das Leben der Wünsche
örtlich, sonst ist sie logischerweise immer und überall. Wenn wir zurück sind, gehst du zu ihr. Und ihr verabschiedet euch. Wenn du es nicht machst, wirst du ständig traurig sein, wird ständig Dunkelheit da sein, morgen, nächste Woche und danach sowieso.
Sie hat sich von ihrem neuen Freund getrennt. Mich macht das froh, ohne dass ich wüsste, warum.
Weil du sie für dich haben willst natürlich.
Blödsinn!
Sie überholten einen Traktor. Ein Armeefahrzeug kam ihnen entgegen. Lachende Gesichter von Soldaten. Jung.
Sie wird wissen, was gut für sie ist, sagte Marie. So wie du die Lage schilderst, ist sie schon sehr weit, hat einen Weg hinter sich, sie wird wissen … was hast du? Was ist los?
Unwillkürlich war Jonas vom Gas gegangen.
Leihst du mir dein Telefon? fragte er.
Klar. Wollen wir uns da vorn in die Wiese setzen und das Obst essen?
Er bog in einen Feldweg ein und stellte den Wagen so nahe an einen Elektrozaun, hinter dem zwei Pferde grasten, dass auf dem Weg noch Platz blieb, falls ein anderes Fahrzeug auftauchte. Während Marie eine Decke ausbreitete und Obst und Wasser aus dem Auto holte, ging Jonas, das Telefon am Ohr, im Schatten einer Reihe alter Feigenbäume, die kaum noch Früchte trugen, auf und ab.
Du musst mir einen Gefallen tun! rief er in den Hörer. Einen großen, wichtigen Gefallen!
Was kann das sein? fragte Anne.
Du wirst mich für übergeschnappt halten!
Ich werde neugierig. Na los!
Dumusstdichnochmaluntersuchenlassen!
Den Anfang habe ich noch verstanden. Ich muss was?
Dich noch einmal untersuchen lassen.
Jonas –
Doch! Du musst!
Jonas, was du da durchmachst, ist vergleichbar mit dem, was der Betroffene selbst erlebt. Es gibt eine Phase im Fortschritt des Geschehens, in der man nicht akzeptieren will, dass …
Hör mir zu! Hör mir zu!
Ich höre dir zu!
Ich kann es dir nicht erklären, sagte er. Wenn du mir einen großen Gefallen tun willst, mach es. Ich habe da so ein Gefühl.
Das ist doch vollkommener Blödsinn, sagte Anne wütend, und Jonas machte der Hass betroffen, den er mit einem Mal auf der anderen Seite spürte.
Bitte, sagte er. Einen kleinen Test. Irgendetwas.
Ich bin keine Masochistin! Willst du mich quälen? Und einen kleinen Test, wie stellst du dir das denn vor, einmal ins Röhrchen pusten, oder wie?
Bitte, sagte er.
Sie legte auf.
Marie hatte Rock und T-Shirt abgestreift, saß in einem roten Bikini auf der Decke und trieb den Korkenzieher in eine Flasche Rotwein. Sie hielt ihm einen Plastikbecher hin. Er trank einen Schluck und streckte sich auf dem Rücken aus.
Mir geht es gut, sagte er und blinzelte in den Himmel.
Das ist schön.
Mir geht es richtig gut. Alles ist gut. Wir sind hier, du und ich. Und brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, weil wir leben.
Es blieb wolkenlos. Ab und zu, wenn die Sonne zu stechend wurde, rollten sie sich in den wandernden Schatten einer Birke, in die vor langer Zeit der Blitz eingeschlagen hatte und deren Stamm aufklaffte wie eine Zimtstange nach dem Schmoren. Jonas erzählte von Anne. Marie erzählte von Jasper, dem bekannten Maler, wegen dem sie zweimal abgetrieben hatte. Sie tranken die Flasche kaum zur Hälfte, und doch schwankten sie, wenn sie sich insUnterholz schlugen, um sich zu erleichtern. Sie schliefen miteinander in der Wiese, durch einen Haselnussstrauch vor den Blicken der vorbeikommenden Autofahrer geschützt. Jonas nickte ein.
Als er erwachte, lagen sie nicht mehr im Schatten. Er deckte Marie mit ihrem Sarong zu. Ein Auto überholte hupend ein anderes, doch Marie regte sich kaum. Im Schlaf griff sie nach seiner Hand. Er drückte seine Lippen gegen ihre Fingerkuppen. Ihre Haut roch nach Sonne. Er sah zu, wie ihre Lider zuckten.
Er breitete die Straßenkarte in der Wiese aus. Mit einem Satz landete ein Grashüpfer da, wo auf der Karte das Meer begann. Behutsam versuchte Jonas ihn fortzublasen, doch das Insekt saß mit zitternden Fühlern im Blauen und ließ sich nicht vertreiben.
Okay, alter Junge, sagte Jonas. Dann bleib eben.
In einem Sekundenbruchteil begriff Jonas, dass etwas über ihn hereinbrach.
Rund um ihn Schwärze. Dunkelheit. Er fühlte nichts Festes um sich, er fühlte weder Hitze noch Kälte. Er schien zu schweben. Unter ihm, vor ihm: der Planet Erde. Blau stand er da unten, zart, freundlich, wahrhaftig, und Jonas war hier oben. Mehr wie eine Ahnung nahm er rechts von sich den Mond wahr. Mit grenzenlosem Schrecken überkam ihn das Bewusstsein, dass das, was er hier
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