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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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Klosterzelle ist so eine Zone. Auch wenn ich in der Arbeitszelle bin: Mein Laptop und mein Telefon bekommen Ruhepausen verordnet. Ich muss nicht immer online gehen, ich muss nicht immer erreichbar sein. Es gibt Wichtigeres als das, was mich ständig auf das Morgen hin orientieren will. Ich entscheide,wer in die Zeit einschneiden darf, die mir gegeben ist. Das Heute ist mir wichtig. Es lässt sich nicht wiederholen. Darin will ich Mensch sein. Darum pflege ich meine Klosterzelle als einen Ort, der sich wichtigmachen darf. Auch wenn ich viel unterwegs bin, oder gerade deshalb: Am liebsten sind mir die Zeiten, die ich für meine Klosterzelle reserviert habe. Da kann ich ganz frei nachsinnen. Das Kreuz in den Blick nehmen. An die Ereignisse der vergangenen Stunden denken. Aus dem Fenster schauen. Einfach da sein. Einfach Zeit haben. Einfach leben. Zweimal am Tag bin ich für drei Stunden telefonisch erreichbar. Das Handy ist für die Dienstzeiten gedacht, um Kurzfristiges abzusprechen. Ich nutze den Anrufbeantworter und schätze es, Telefontermine zu vereinbaren. Sonst kann ich vor lauter «Kannst du mal eben?» gar nicht hier und heute leben, sondern werde ständig woanders hingerissen mit meiner Aufmerksamkeit.
    Das Unglück des Menschen beginne damit, so sagt ein Sprichwort ganz richtig, dass er außerstande sei, mit sich allein in einem Raum zu sein. Es wird zwar immer wieder davon gesprochen, dass man sich nach Ruhe sehnt. Aber unsere Klostergäste sind ein gutes Beispiel dafür, was geschieht, wenn wirklich einmal Ruhe möglich wäre: Ohne Handy geht schon mal gar nichts. Jede Gelegenheit zum Smalltalk wird genutzt. Kaum im Haus, muss schon der Schlüssel her, weil man ja auch nochmal raus möchte.
    Diese ständige Unruhe. Für den Anfänger ist es schwer, sich einfach auszuhalten und daran zu glauben, dass im eigenen Herzen mehr Leben ist als irgendwo anders. Die Stille und Ruhe der Klosterzelle helfen einem dabei, dieses Leben nicht zu verpassen. Man wird nicht mehr abgelenkt. Man hat endlich mal Zeit für sich, kann sich endlich auf die Stimmen besinnen, die zu einem selbst gehören. In der heutigen Gesellschaft kann sichdas kaum noch einer leisten: auf sich selbst zu hören. Nehmen Sie sich diese Stunde mit sich selbst am Tag. Und wenn es gar nicht anders geht: wenigstens eine in der Woche. Setzen Sie sich daheim an Ihren Lieblingsplatz. Nehmen Sie ein Blatt zur Hand. Schauen Sie aus dem Fenster. Oder auf ein schönes Kalenderbild. Alle Gedanken sind jetzt erlaubt. Reden Sie sich nicht selbst rein. Schalten Sie die Autozensur aus. Zeile um Zeile des Blatts können Sie nun füllen: mit Namen von Freunden, Anfängen von Gedichten, Kinofilmen, einem Streitwort aus den letzten Tagen. Alles ist erlaubt. Wenn Sie sich erst einmal darauf einlassen, werden Sie gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Sie erfahren, wie sehr das Jetzt Ihre Zeit ist. Sie erfahren sich selbst im Dialog mit Ihrem Leben. Sie können ganz in Ruhe atmen. Ihr Herz bleibt von selbst in Gang. Sie sind mit Leben beschenkt.
    Wer auf diese Weise seinen Alltag gestaltet, der erfährt, was unser Reichtum ist. Die Kapuziner sprechen von der Fülle des Lebens, die sich dem Herzen des Menschen erst in der Stille erschließt. Diese Fülle ist unvergleichlich, denn niemand hat im Leben das erfahren, was nur Sie erfahren haben. Jeder Einzelne ist Fachmann der eigenen Existenz. Es gab wunderbare Momente, die man nicht missen möchte. Da waren auch schwere Stunden dabei, die einem immer noch nachhängen. Die Stille ist der Rahmen, in dem diese unterschiedlichen Erfahrungen zusammenfinden können. Darin werden wir persönlicher. Wir werden unverwechselbar lebendig. Und anstößiger.
    Jeder erlebt seine Zeit. Jeder gestaltet seine Zeit. Jeder berührt mit seiner Zeit die Zeit des anderen. Konflikte sind da vorprogrammiert. Deshalb treten wir aus der Klosterzelle in eine Ordnung ein, die wir vorher verabredet haben. Sie steht über uns, damit wir nicht ständig kämpfen müssen, wer wessen Zeit wie beanspruchen darf. Die Ordnung dreht sich um die PersonJesu. Ihn wollen wir loben in unseren Gebetszeiten. Ihm geben wir die Ehre, wenn wir die Tischgemeinschaft pflegen. Aus der Klosterzelle treten wir in die Zeit ein, die durch diese Ordnung gestaltet ist. Sie hilft uns, das für wichtig zu halten, was uns tatsächlich wichtig ist: Nein, ich kann jetzt nicht mit Ihnen telefonieren, wir treffen uns zum Gebet. Ja, nach zwanzig Uhr geht es für eine Stunde. Ja, ich habe

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