Das Leben Findet Heute Statt
einem Tausende von Ausflüchten ans Herz. So machen diese einen glauben, heute kann ich mit der Arbeit nicht beginnen. Und dann fängt mitten am Tag das an, was man mit Fug und Recht Trägheit nennt, die verderbliche Form des Müßiggangs, der, wie schon der Volksmund weiß, aller Laster Anfang ist. Das geht dann etwa so: Man sollte etwas schreiben. Es wäre etwas zu organisieren. Einige warten schon auf ein Protokoll. Es gibt noch zig E-Mails im Posteingang. Auch die Schneckenpost hat einiges auf den Schreibtisch gebracht. Für einige Stunden sollte auch der Garten den Arbeitseinsatz aller Brüder sehen. Die Bibliothek wartet ebenfalls auf jemanden, der Ordnung schafft.
Wahrhaft teuflisch ist das, was einen davon abhält. Es flüstert unaufhörlich: Später. Dieses magische Wort vertröstet uns auf den richtigen Moment, der erst noch kommen muss und den man doch braucht, um eine Sache endlich anpacken zu können. Es spricht von den Kräften, die man zwar hat, aber noch schonen muss. Die Einflüsterungen lenken die Aufmerksamkeit auf die anderen Brüder im Haus, die ja auch noch nicht angefangenhaben (obwohl man das ja gar nicht weiß). Später sei man in der richtigen Verfassung. Erst dann kämen die richtigen Ideen. Man sei jetzt noch nicht so weit. Es fehle gewissermaßen noch der letzte Anstoß.
Diese Art von Trägheit, die auf das Später vertröstet, hat eine lange Tradition in der Geschichte der Menschheit. Im Christentum haben schon die Wüstenväter mit ihr gekämpft. Sie empfehlen neben der Lebensordnung, die man sich geben soll, auch eine Beschäftigungsordnung. Auch wenn es paradox klingt: Um jetzt aufmerksam und wach zu leben, solle man sich in der Phantasie dahin versetzen, wohin man kommen will. Also: ein Ziel ins Auge fassen und dann den Willen entwickeln, sich diesem Schritt für Schritt anzunähern. Es geht dabei ganz und gar nicht um eine Vertröstung auf das Später. Es ist vielmehr die Übung, das Ziel schon jetzt und hier wirksam werden zu lassen. Es hat mir jetzt etwas zu sagen. Es fordert mich jetzt schon heraus. Es «verleiht Flügel».
Daraus entsteht eine aktive Haltung zur Arbeit. Die anstehenden Aufgaben werden nicht mehr isoliert gesehen. Sie sind Teil eines größeren Ganzen, dem man entgegenstrebt. Und wenn man heute ganz präsent an der Verwirklichung des Ziels arbeitet, kommt dieses auch schon in das eigene Leben hinein.
Die Christen sagen das auch über ihre Beziehung zu Jesus Christus. Das Motto des langjährigen Bischofs von Münster in Westfalen, Reinhard Lettmann, hat mir immer schon gefallen: dem kommenden Christus entgegeneilen. Darin steckt die Wachheit und die Kraft, die man heute hat, wenn man einem Ziel entgegenstrebt. In dieser Glaubenshaltung liegt zusätzlich auch eine große Beruhigung: Das Ziel strebt auch mir entgegen. Es wird mich erreichen. Und damit steht auch fest, dass ich es erreichen werde. Die Benediktinerin Silja Walter dichtete:
Jemand muss zu Hause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten,
unten am Fluss
vor der Stadt.
Jemand muss nach dir
Ausschau halten,
Tag und Nacht.
Wer weiß denn,
wann du kommst?
Ich glaube fest an diese Wiederkehr Christi. Das ist für mich weniger mit all den Vorstellungen verbunden, die unter dem Stichwort «Apokalypse» in manchen Köpfen herumschwirren und nichts anderes tun, als die Menschen von der Arbeit abzuhalten und sie zu verängstigen.
Wenn ich als Christ glaube: «Der Herr ist im Kommen!», dann sage ich schlicht und ergreifend: Das Ziel der Welt, das wir anstreben, strebt auch uns an. Wer dafür Zitate aus der Bibel braucht, kann eindringliche Worte Jesu dazu finden: «Das Himmelreich ist nahe» . (Mt 3,2). «Das Reich Gottes kommt und ist mitten unter euch.» . (Lk 17,20)
Ganz anders, als es die Kritiker der Religion im ausgehenden 18. Jahrhundert meinten, schärft der Blick auf den Himmel den Blick für die Gegenwart. Wenn das Reich Gottes, das kommen wird, schon mitten unter uns ist, dann dürfen wir nicht sitzen bleiben und faul abwarten. Es entsteht eine aufmerksame Lebenshaltung, die in allem schon jetzt entdecken will, was noch kommen wird. Das Leben jetzt ist die Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn. In der Bibel findet Jesus dafür oft Bilder vonder Hochzeit. Weil sie das Fest erwarten, intensivieren alle ihre Anstrengungen der Vorbereitung. Das, was man heute schafft, empfindet man schon als eine Erfahrung dessen, was man morgen erwartet. Dann ist schon da, was eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher