Das Leben Findet Heute Statt
mitnehmen. Dort oben halten wir noch strenger die Klausur ein als hier unten. Dort ist der Privatbereich der Brüder. Dort möchten wir nicht gestört werden. Wir scheuen uns auch davor, Fotos von diesem Ort zu zeigen. Weil wir in Gottesdiensten und bei anderen Tätigkeiten immer wieder in der Öffentlichkeit stehen, brauchen wir diese Zone, in der jeder ganz für sich allein sein kann. Und auch das gemeinschaftliche Leben im abgegrenzten Raum des Klosters selbst benötigt noch einmal eine Abgrenzung, einen Raum, in dem jeder Bruder für sich ist und ihn niemand stören darf. Wir Brüder klopfen nur selten beim anderen an. Das ist auch gar nicht nötig. Wir sehen uns ja tagsüber oft, und gegebenenfalls können wir uns verabreden.
Stellen Sie sich die Klosterzellen bei uns oben im Haus nicht allzu karg vor. Meistens gibt es ein kleines Schlafzimmer und Arbeitszimmer. Diese Räume nennen wir Zellen. Wer zum ersten Mal mit uns in Berührung kommt, findet diese Bezeichnung ganz witzig. Er muss gleich an Gefängniszellen denken. Das passt zu den Vorurteilen, die landläufig mit dem Ordensleben verbunden werden, man sei eingesperrt oder gar weggesperrtim Kloster. Mir gefällt der Begriff trotzdem. Darum spreche ich auch nicht vom Zimmer, wenn ich den Privatraum eines Bruders meine. Nein, es sind Zellen, und zwar lebendige Zellen im Organismus Kloster. Kein Mönch lebt wirklich ganz allein. Niemand ist ein Robinson auf seiner einsamen Insel. Auch in den großen Mönchsabteien sind die Zellen Teil einer lebendigen Organisation, in der jeder seinen Platz findet.
Uns ist es wichtig, dass auf dem Gang und in den Zellen absolute Stille herrscht. Das fördert die Konzentration und hält Leib und Seele zusammen. Nicht jedem Bruder liegt es, durchgehend in dieser Stille zu leben. Der eine besitzt ein kleines Radio, der andere nutzt mittlerweile auch einen Laptop oder einen MP 3-Player . Darüber wird bei uns aber durchaus diskutiert. Denn die Stille ist eine der Grundlagen des Ordenslebens. Ohne Stille kann die Beziehung zu sich selbst, zum anderen und zu Gott nicht wachsen.
Dies führt bei uns, wie gesagt, durchaus zu Diskussionen. Schließlich, so sagen die Befürworter dieser technischen Geräte, leben wir heute und wollen nicht Menschen von gestern sein. Dem kann ich zustimmen. Ich nutze ja selbst die modernen Kommunikationsmittel. Sie sind ein Segen, den man nicht einfach außen vor lassen darf. Allerdings: Sie segnen nicht automatisch. Sie können einen auch ganz schön im Griff haben. Manchmal sehne ich mich nach den Zeiten, in denen es noch kommunikationsmittelfreie Zonen gab. Gut, dass wenigstens die Arbeitszelle und die private Zelle voneinander getrennt sind. In der ersten stehen das Telefon mit Durchwahlmöglichkeit, ein Radio und der Laptop. Was für eine Versuchung, mal eben ein wenig Musik zu hören oder, noch schlimmer, E-Mails zu checken!
Ich erinnere mich an einen Tag im Boarding-Bereich desFlughafens von Edinburgh, an dem wegen einer Terrorwarnung die Sicherheitsmaßnahmen verschärft wurden. Keiner durfte ein Handy oder einen Laptop dabeihaben. Manch ein Manager stand vor einem Münztelefon und versuchte sich zu erinnern, wie das wohl funktioniert. Andere aber saßen im lockeren Gespräch beieinander. Ich habe selten eine entspanntere Atmosphäre unter Geschäftsleuten erlebt. Plötzlich hatten sie Zeit. Freiwillig entschließt sich keiner dazu, eine Stunde des Wartens auf den Flieger für ein entspanntes Gespräch unter Kollegen zu nutzen.
Unsere Gesellschaft wird von den Kommunikationsmitteln ganz schön im Griff gehalten. Wir lassen uns das Heft zur Gestaltung unserer Lebenszeit aus der Hand nehmen. Jeder und alles will darin etwas zu sagen haben. Es klingelt und blinkt auf in einem fort. Alles muss sofort erledigt werden. Die Ereignisse dieser Welt bedrängen uns auf allen Kanälen. Wir müssen stets up to date sein. Wir springen von der Nachrichtensendung zum Nachrichtenportal, und zwischendurch müssen die E-Mails abgerufen werden. Alles darf sich wichtigmachen. Und am Ende wissen wir gar nicht mehr, was wir denn eigentlich wollten. Wir spielen nicht im Leben, sondern das Leben, so sagen wir, spielt uns mit. Wir geraten vor lauter Eindrücken in die Defensive gegen das, was aus der Welt auf uns hereinbricht. Wir brauchen dafür Orte, an denen wir die vielen Eindrücke ordnen können. Wo sie zur Ruhe kommen können. Wir brauchen Zonen, in denen die lauten Töne unserer Zeit nachklingen können.
Die
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