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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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alles zu laufen...
    Etwa
nach der Hälfte der heutigen Wegstrecke erreichten wir Viana, eine kleine
Stadt, vor deren Kirche sich das Grab des berühmt-berüchtigten italienischen
Feldherrn Cesare Borgia befindet, der Anfang des sechzehnten Jahrhunderts bei
einem der vielen Kämpfe an diesem Ort gefallen war. Laut meinem kleinen
Reiseführer war er ein Sohn von Papst Alexander VI. und als skrupelloser
Renaissancefürst bekannt; deshalb wurde er nicht in der Kirche, sondern davor
bestattet. Ich fand es nicht nur erstaunlich, dass Päpste im Mittelalter
offiziell Kinder haben durften, sondern auch, dass man in dieser Zeit den Mut
hatte, einen Fürsten praktisch vor der Tür zu lassen!
    Viana
war ja außerdem mein erstes großes Ziel, das ich mir in Valcarlos vorgenommen
hatte, denn hier musste Wilfrieds Frau aufgeben und ich hatte es geschafft!
Darauf mussten wir erst mal ein Glas Rotwein in einer Bar trinken, juhu! 160
Kilometer zurückgelegt, die Pyrenäen überquert , dazu
zwei Pässe von über 800 Metern Höhe in einer Woche, noch mal juhu! Und danke, lieber
Gott! Danke für meinen gesunden Körper, danke für die netten Menschen, die ich
bisher kennen lernen durfte, und danke für die wunderbare Landschaft und die
Erlebnisse rund um den Jakobsweg!
    Es
gab noch einen Grund zum Feiern! Heute verließen wir das sanfte, heimelige
Navarra-Land und erreichten das Gebiet La Rioja, das berühmteste
Weinanbaugebiet Spaniens, dessen Hauptstadt Logroño ist. Da wir als echte
Pilger fast jeden Tag Rotwein tranken, waren wir schon langsam zu Weinkennern
gereift und konnten feststellen, dass der Wein von Tag zu Tag besser wurde. Man
konnte auch sagen, je schlechter die Füße wurden, umso besser schmeckte der
Wein!
    Die
Landschaft blieb auch weiterhin besonders schön. Der Camino führte hier in der
Nähe eines Stausees an einem Naturschutzgebiet vorbei, wo es ein
ornithologisches Observatorium gab. Die Getreide- und Gemüsefelder sahen jetzt
aus wie terrassierte, unterschiedlich gefärbte Gärten in einer malerischen
Hügellandschaft, unterbrochen von grünen Hecken und braunen Weinfeldern, auf
denen kleine, knorpelige Äste gerade die ersten Blätter sprießen ließen. Man
konnte sich nur schwer vorstellen, dass sich bis zum Herbst kräftige Pflanzen
mit saftigen Trauben daraus entwickeln würden.
    An
einer schönen weiß getupften Gänseblümchenwiese rief ich meinen Begleiterinnen
zu: „Oh, I want to lay down in this wonderful grass !“ Ich warf meinen
Rucksack ab und lief auf die Wiese, bis ich plötzlich stehen blieb: „Oh, what a pity ! Here is a lot of shepherd shit !“
Als Antwort prusteten die zwei vor Lachen los und wollten gar nicht mehr
aufhören. Ich verstand erst nicht, was es da zu lachen gab, bis Madlen fast zu Tränen gerührt fragte: „A shepherd did shit on the whole field , really ?“ „A shepherd - ach - der Schäter ! Der
Schäfer hat auf die ganze Wiese... Nein, ich meinte natürlich die Schafe! Oh,
sorry, I mean the sheep , of course !“
    Nun
musste ich auch loslachen und wir drei amüsierten uns köstlich bei der
bildlichen Vorstellung, dass der Schäfer und nicht die Schafe die schöne Wiese
verunreinigt haben sollte. Schon seit Stunden hatten wir die große Stadt mit
ihren Rauchwolken im Tal vor uns liegen sehen. Logroño empfing uns mit einer
Tartanpiste und mehreren Tunneln, die die große Landstraßenkreuzung unterqueren
halfen. Vorbei war es mit den beschaulichen Feldwegen. Der Verkehr war nicht
mehr zu überhören und später auch nicht mehr zu übersehen. Die moderne
Industriegesellschaft hatte uns wieder. Das plötzliche Auftreten auf der harten
Betonpiste symbolisierte das Aufwachen aus einem Traum in die Wirklichkeit, so
empfand ich es zumindest.
    Aber
zunächst erhielten wir eine kurze Schonfrist, denn bevor die Stadt richtig
begann, durften wir noch durch einige kleine Vororte mit bunten,
blumengeschmückten Häuschen gehen. Vor einem solchen Häuschen gleich am Beginn
des Dorfes saß eine alte Frau hinter einem kleinen Holztisch und bedeutete uns
mit energischer Stimme, bei ihr anzuhalten und einen Stempel zu kaufen.
    Auf
mein „ Porqué ?“ — „Warum?“ antwortete sie ebenfalls
nur mit einem Wort: „ Tradición !“, wobei sie das „r“
betont deutlich rollte. Da fiel mir ein, dass in meinem Reiseführer von einer
freundlichen älteren Dame namens Doña Felicia
berichtet wird, die die ankommenden Pilger in Logroño registriert. Also sagten
wir auch nicht nein und kauften

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