Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
Vom Netzwerk:
dem Jakobsweg noch nach Portugal oder Südspanien reisen wollte.
Genau wusste sie das noch nicht, sie wollte sich Zeit lassen und sehen, wie
weit die Füße sie tragen würden. Ich fand die 28-Jährige jedenfalls
bewundernswert und die anderen auch.
    Am
Abend sahen wir noch einige bekannte Pilger; unter anderem das Problemehepaar
aus der Nähe von Köln, das nun wieder mit Schwägerin unterwegs war, und das
ältere, sehr freundliche Ehepaar aus Kempten, das am gleichen Tag wie ich in
St.-Jean-Pied-de-Port gestartet war und mich gleich nach meinem Sohn fragte.
Wir trafen auch sehr viele junge Leute wieder, die einzeln, wie der nette
Lockenkopf aus dem Schwarzwald, der sich über sein geplantes Medizinstudium
klar werden wollte, zu zweit oder in der Gruppe pilgerten. Diese jüngeren Leute
zwischen sechzehn und dreißig Jahren bildeten einen beeindruckenden Teil der
gesamten Pilgerschaft. Viele hatten gerade die Schule oder ein Studium
abgeschlossen und wollten sich mit dem Jakobsweg über ihren weiteren Lebensweg
klarer werden oder einfach die Zeit zwischen zwei Lebensabschnitten sinnvoll
nutzen.
    Die meisten Deutschen (und deutsch war die
Mehrzahl der Jugendlichen) hatten das Buch von Hape Kerkeling gelesen, waren neugierig geworden und wollten sich nun ein eigenes
Bild, gepaart mit Abenteuerlust, von dem geheimnisvollen Einfluss des Camino
machen.
    Ein weiterer großer Teil der Pilger waren
die Rentner, die sich damit meist einen lange gehegten Traum erfüllen wollten.
Sie hatten diesen Weg im Gegensatz zu den Jugendlichen schon lange geplant,
öfter wieder verschoben und dann doch endlich verwirklicht, meist ohne das Buch
von Hape Kerkeling gelesen zu haben, sondern oft aus
religiösen Gründen oder nach dem Lesen eines spirituellen Buches. Die Rentner
waren meist zu zweit unterwegs, was ich auch sehr sinnvoll fand.
    Das Mittelalter der Pilger, zu denen ich
mich und die beiden Engländerinnen zählte, stellte das letzte Drittel dar.
Diese Menschen teilten sich in die, die aus religiösen Gründen liefen, in
diejenigen, und das waren hauptsächlich Männer, die es aus sportlichen Gründen
taten, und schließlich in die anderen, und das war wohl der größte Teil dieser
Gruppe, die durch Schicksalsschläge aus ihrer gewohnten Bahn geworfen worden
waren oder deren Leben einfach so fad geworden war, dass sie sich nicht mehr
spüren konnten und nach einem neuen Lebensinhalt suchten.
    Natürlich waren die Übergänge fließend,
sowohl in den Gründen, diesen Weg zu laufen, als auch in den unterschiedlichen
Altersgruppen. Es gab in jeder Gruppe solche und solche Pilger. Aber alle
hatten etwas gemeinsam, nämlich den festen Willen, nicht aufzugeben, weder auf
dem Weg noch in ihrem Leben, gleich, welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden
waren. Alle Pilger verband ein gemeinsames Ziel,
welches Santiago de Compostela hieß, sowie das persönliche Ziel, die
Vergangenheit hinter sich zu lassen und etwas Neues zu wagen.
    Indem jeder Einzelne begann, den Weg in
Angriff zu nehmen, begann er gleichzeitig damit, etwas nur für sich selbst zu
tun und damit sein Leben positiv zu beeinflussen, stellte er sich dem
Stillstand, der Routine und manchmal auch der scheinbaren Ausweglosigkeit
entgegen...
    In dieser Gruppe traf man die meisten
Einzelpilger, und einigen davon waren ihre Sorgen und Probleme schon ins
Gesicht geschrieben, so wie bei dem traurigen Australier in Torres del Rio. Ich
wusste nur, dass er im Krankenhaus mit Kindern arbeitete und kein Arzt war,
aber ich wollte mich nicht aufdrängen und ihn nicht weiter ausfragen. Außerdem
sollte ja meine Hauptaufgabe auf dem Weg sein, meine eigenen Probleme
anzugehen, und dabei konnte ich wohl schlecht für alle der Seelentröster sein.
    In diesem Zusammenhang fiel mir ein, dass
mein Mann einmal erzählt hatte, wie er mich bildlich darstellen würde: ein
Strichmännchen mit einem überdimensional großen Kopf, welcher oben eine Öffnung
hatte, darauf ein Riesentrichter, in den alle möglichen Menschen ihren
seelischen Müll abkippten. Das sollte ich sein!?
    In der Herberge bestätigten sich meine
schlimmsten Vermutungen. Man konnte jetzt mit einer Woche Pilgererfahrung fast
vorhersagen, welche Menschen wohl schnarchen würden und welche nicht. Im
Doppelbett neben mir schnarchte ein altes amerikanisches Ehepaar um die Wette,
wobei die Frau noch schlimmer schnarchte als ihr Mann, was ich vorher nicht
vermutet hatte. Im Bett hinter mir schlief ein älterer Mann lautstark auf

Weitere Kostenlose Bücher