Das Leben in 38 Tagen
oder sich an einem Gänseblümchen zu erfreuen, das habe ich
nicht vergessen...
Nach
einer Weile sahen wir den nächsten Ort wieder typisch für diese Landschaft
anmutig auf einem Hügel liegen. Dies war Sansol mit einer mittelalterlichen
Kirche als höchster Erhebung.
Da
die Kirche wieder verschlossen war, sahen wir uns von hier oben nur den kleinen
Ort und die Umgebung an. Eine schmale alte Bauersfrau mit sonnengebräuntem,
abgearbeitetem Gesicht unter einem dunklen Kopftuch schüttelte nur mit dem
Kopf, als wir sie nach dem Schlüssel für die Kirche fragten. Sie kam wohl
gerade vom daneben liegenden Friedhof und war einer der wenigen Menschen, die
man auf der Straße sah. Wenigstens hatten wir von da oben schon unser Ziel für
heute, Torres del Rio, auf dem nächsten Hügel liegen sehen. Noch einmal führte
ein Pfad ziemlich steil bergab, wir überquerten ein kleines Flüsschen
(wahrscheinlich daher der Name des Ortes) und liefen dann in das Dorf hinauf,
das fast genauso aussah wie der letzte Ort, nur diesmal mit einer achteckigen,
romanischen Kirche aus dem zwölften Jahrhundert in der Mitte. Die Herberge
sollte ebenfalls in einem historischen Gebäude sein, war aber aus unerfindlichen
Gründen geschlossen. Zum Glück stellte sich der Ort als doch nicht ganz so
klein heraus und so fanden wir eine Privatherberge in einer etwas neueren
langen Reihenhausstraße.
Die
Wirtin, eine resolute kleine, schwarzhaarige Frau von kräftiger Statur mit Namen
Mari, konnte kein Wort Englisch oder Deutsch, aber dafür hörte sie nicht auf,
in Spanisch auf uns einzureden, obwohl sie merkte, dass wir nichts verstanden.
Sie ignorierte das einfach, stempelte dabei unsere Pässe ab, zeigte uns das
Haus und führte uns schließlich in ein kleines Zimmer in der oberen Etage, wo
sich drei Doppelstockbetten befanden. Mit Bettwäsche! Das erste Mal, dass es
Betten mit richtiger Bettwäsche gab, und alles machte einen sehr sauberen Eindruck! „Muy bien , muy bien , sehr gut!“, sagte ich und das ernste Gesicht von Mari
überzog auf einmal ein breites Lächeln. Wir drei waren glücklich, so ein gutes
Quartier für nur sechs Euro gefunden zu haben, und nahmen uns vor, heute Abend
zusammen essen zu gehen, denn irgendwo sollte es hier ein Restaurant und ein
Lebensmittelgeschäft geben. Also entledigten wir uns der schweren Schuhe und
der durchgeschwitzten Kleidung und gingen erst mal ausgiebig duschen in einer
großen, warmen und sauberen Dusche über dem Hof. Anschließend wuschen wir unsere
Sachen alle zusammen in einem Waschmaschinengang, um Geld zu sparen, tranken
einen Kaffee aus dem Automaten und setzten uns dann in den schönen Innenhof.
Dieser war auf drei Seiten von Mauern umgeben, aber nach einer Seite hatte man
einen herrlichen Blick über die angrenzenden Wiesen und Felder.
Einige
andere Pilger saßen schon an den Tischen in der Sonne, lasen, schrieben Karten
oder unterhielten sich; Franzosen, ein trauriger Australier, eine Spanierin,
die Deutschitalienerin, einige deutsche Jugendliche und schließlich kamen noch
zwei bekannte Gesichter: das deutsche Ehepaar ohne Schwägerin und natürlich
wieder laut diskutierend!
Die
Sprache kam auf das Restaurant im Ort und es stellte sich heraus, dass es nur
eine Bar war und es dort nichts zu essen gab. Was nun? Wir hatten alle
mächtigen Hunger und brauchten noch Proviant für den nächsten Tag. Also gingen
wir fast alle nacheinander den Lebensmittelladen suchen. Hätte uns nicht einer
von den deutschen Jugendlichen den Weg gezeigt, ich weiß nicht, ob wir den
Laden gefunden hätten. Ganz versteckt, fast im Keller eines Wohnhauses, ohne
Schaufenster und nur mit einem kleinen Schild an der Tür, begann der Laden in
einem engen, dunklen Flur. An der Wand standen ein Flaschenkühlregal und eine Eistruhe neben Flaschenkästen und Unmengen an
verschlossenen Kartons sowie Körben mit verschiedenem Obst und Gemüse. Durch
eine Bretterwand war der eigentliche Verkaufsraum von dem Flur getrennt und der
Verkäufer sah uns durch ein provisorisches Fenster erwartungsvoll an, um die
gewünschte Bestellung aufzunehmen.
Das
Ganze erinnerte mich an meine Kindheit, als es in den kleinsten Dörfern bei uns
auch solche Läden in Fluren von Wohnhäusern gab und man dort zu jeder Zeit
einkaufen konnte.
Nur
musste man hier Spanisch sprechen und konnte dabei nicht sehen, was es
überhaupt alles zu kaufen gab. Also schaute man sich bei seinem Vordermann an,
was der kaufte, und da wir eine Menge Pilger waren,
Weitere Kostenlose Bücher