Das Leben in 38 Tagen
und
Pilgern hätte es sich doch lohnen müssen, ein richtiges Geschäft und ein gutes
Restaurant zu führen! Abgesehen von dem kleinen Hotel am Ortseingang, wo es
erst ab 20.00 Uhr Essen gab und das auch keinen gemütlichen Eindruck machte,
schien die Zeit hier stehen geblieben zu sein, obwohl der Ort nicht mal so
klein war und die Nationalstraße hier entlangführte! Aber ehrlich gesagt, hätte
hier auch keiner von uns wohnen wollen! Und von den Franzosen damals war sicher
auch schon lange niemand mehr hier, oder?
Immerhin war die Herberge neu renoviert und
sauber, es gab eine Kochmöglichkeit und man konnte in dem großen Innenhof seine
Sachen trocknen und in der Sonne sitzen. Abends lernten wir dann noch vor
lauter Hunger „ Hapes Hotel“ mit einem nicht sehr
schmackhaften Pilgermenü kennen. Hier wurde lieblos und schnell nacheinander in
einem großen, ungemütlichen Raum das Essen serviert (lautstarke
Fernsehunterhaltung inklusive), so dass wir keine Lust hatten, länger als eine
halbe Stunde hier sitzen zu bleiben. Nebenbei unternahm ich mal wieder einen
erfolglosen Versuch, nach Hause zu telefonieren, da es in Belorado am Morgen
auch nur ganz kurz auf Ralfs Arbeit geklappt hatte. Immerhin wusste er nun
wenigstens, dass ich noch lebte und lief! Hier in Villafranca hatte mich die
Telefonzelle auf dem großen Parkplatz zwar gleich angelockt, aber wie ich mir
fast gedacht hatte, funktionierte sie nicht. Die Türe ließ sich nicht schließen
und auch die Münzen fielen einfach durch! Dazu der donnernde Lärm durch die
fahrenden und parkenden LKWs. Genau wie Hape es
beschrieben hatte! Irgendwie passte das alles hier zusammen, leider!
Welch ein Unterschied zu dem freundlichen Belorado, das nur fünfzehn Kilometer
entfernt lag!
Am nächsten Morgen verließen wir den Ort so
schnell wie möglich. Simone ärgerte sich, dass sie nicht in Belorado Geld
abgehoben hatte, aber hier wollten wir nicht bis 10.00 Uhr auf die Öffnung der Sparkasse warten. Lieber borgten wir
ihr etwas und zogen daraus unsere Lehren. Eine Sparkasse im Ort bedeutete also
nicht gleich einen Bankautomaten!
Während die kräftige Simone und ich langsam
und keuchend etwa fünf Kilometer immer bergauf liefen, war Irene mit ihren
leichten Schritten schon vorausgegangen. Auch Edith wollte wie immer etwas
Vorsprung haben, aber als wir die Passhöhe erreicht hatten, holten wir sie
wieder ein. Auf einmal stand sie inmitten von mannshohem lilafarbenem
Heidekraut und freute sich wie ein Kind über dieses Naturschauspiel. Noch nie
hatten wir solch eine Fülle und Farbenpracht dieser herrlich großen Pflanzen
gesehen, die den gesamten Weg säumten. Dazwischen blühte gelber Ginster, standen einige
Wacholderbüsche und im Hintergrund gab es Unmengen silbergraue Kermeseichen zu
sehen — eine besondere kleine Eichenart —, die scheinbar ihr Winterkleid
noch nicht abgelegt hatten.
Wir hatten gelesen, dass die Oca-Berge
früher ein großflächiges Domizil für Räuber und Banditen darstellten, die dann
den Pilgern im Schutz des riesigen Waldgebietes auflauerten und sie ausraubten.
Da zwischen dem einen Dorf und dem nächsten 12,5 Kilometer lagen, konnte man
sich gut vorsteilen, dass die armen Pilger damals kaum eine Chance hatten, zu
entkommen, wenn sie nicht in einer großen Gruppe liefen.
Im Gegensatz dazu konnten wir heute ohne
Angst die Ruhe und den herrlichen Blick genießen. Nachdem wir die blonde Edith
inmitten dieser herrlichen Erika ausgiebig bewundert und fotografiert hatten,
genehmigten wir uns eine Pause am Wegrand. Während wir uns auf den weichen
Grasmatten stärkten, atmeten wir die herrliche klare Luft, vermischt mit dem
Duft der blühenden Sträucher rundherum, tief ein.
Genau gegenüber grüßten uns die
schneebedeckten Zweitausender-Gipfel, die ich schon so lange von meinem Weg aus
als nächstes Ziel vor den Augen gehabt hatte. Wieder war ich ein großes Stück
vorangekommen und ich fühlte, wie sich Glück, Dankbarkeit und auch ein bisschen
Stolz in meinem Herzen ausbreiteten.
Auf dem weiteren Weg durch die Hochebene
begegnete uns plötzlich ein Zug Schmetterlingsraupen, der sich wie eine dunkle
Schlange quer über den gelben Lehmweg legte und sich
bei näherem Hinsehen auf die Eichenbäume zu bewegte. Ich hatte schon von den so
genannten Prozessionsspinnerraupen gehört, die sich immer nur auf eine Baumart
spezialisieren und ganze Wälder vernichten können, wenn sie in Massen
auftreten, aber gesehen hatte ich so etwas noch nicht.
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