Das Leben in 38 Tagen
Ehepaar aus Kempten, auftauchten, verabschiedeten
wir uns herzlich, denn wir hatten heute noch einige Kilometer vor uns. Frisch
gestärkt lief es sich noch einmal so gut, und da es zunächst wieder durch einen
grauen Eichenwald ging, machte uns die Sonne auch nicht so viel aus. Was mir
allerdings schon im ersten Eichenwald aufgefallen war, wirkte hier noch
eigentümlicher und sogar etwas gespenstisch, denn dieses Grau umschloss den
ganzen Weg und schien uns mit den knorrigen Asten wie
mit dürren, faltigen Armen einfangen zu wollen. Selbst das Gras traute sich am
Wegrand kaum, aus der braunen Erde zu lugen , und auch
die bunten Farbtupfer anderer Sträucher wie sonst fehlten. Für mich wirkten die
kleinen, aber uralten Eichen wie mit weißlichem Pilz überzogen, ohne Blätter
und ohne Grün. Aber keiner konnte mir sagen, ob dies nun noch das Wintergrau
war oder ob die Bäume krank waren...
Nach etwa zwei Stunden durch Wald und Feld
erreichten wir Atapuerca, welches anmutig in einem sanften Tal lag. Und wieder
holte uns die Geschichte ein. Dieser Ort gilt als Heimat der ersten Europäer,
denn hier in der Nähe wurden die Höhlen mit den ältesten menschlichen Funden
aus der Zeit vor etwa 800.000 Jahren entdeckt. Man kann heute noch die
Fundstätten und den archäologischen Park besichtigen. Leider hatten wir dafür
keine Zeit, obwohl mich das sehr interessiert hätte. Ich glaube, wenn ich
allein gewesen wäre, hätte ich in Atapuerca übernachtet, denn das ganze Dort
nebst Pilgerherberge und Restaurant machte einen sehr gepflegten und
einladenden Eindruck. Sicher hatte der Ort auch einige Fördermittel für den
Tourismus erhalten.
Aber das war eben einer der Nachteile, wenn
man mit anderen ging; man musste sich anpassen. Doch da ich morgen nicht so
gern allein in der großen Stadt Burgos ankommen wollte, entschied ich mich
dafür, mit Simone weiterzugehen.
Gleich hinter dem Dorf führten uns die
gelben Pfeile über einen steilen Pfad mit vielen runden, losen Steinen zwischen
mageren Wiesen in die Höhe. Dabei mussten wir sehr aufpassen, mit unseren Füßen
nicht ins Rutschen zu kommen, und so blieben wir öfter stehen, um auszuruhen
und unsere Blicke umherschweifen zu lassen. Diese kahlen Wiesen mit ihrem
flachen Heidekraut und den vereinzelten Wacholderbüschen erinnerten mich an die
Kalkmagerrasen in meiner Heimat, der Rhön. „Das Land der offenen Fernen“, wie
man es gerne nennt, bietet ähnlich schöne Ausblicke von seinen Bergen und ist
ebenso ein Eldorado für Schafherden und weniger für fruchtbare Felder. Gerade
als ich mich mit meinen Gedanken an die Heimat beschäftigte, wo man genau wie
hier die Berge hinaufstapfen kann, beschlich mich plötzlich das Gefühl,
beobachtet zu werden, ich blickte auf und sah mich auf einmal einer riesigen Steinmännchenkolonie gegenüber, die mich ihrerseits
erwartungsvoll anzublicken schien. Ach ja, genau das hatte ich doch noch
vorgehabt! Ich wollte ein eigenes Steinmännchen bauen und Simone fand die Idee
ebenfalls gut.
Es war gar nicht so einfach, die passenden
Steine zu finden, aber es machte Riesenspaß. Zum Schluss stellten wir erfreut
fest, dass nun auch eine Figur von uns beiden inmitten der großen Steinmännchenfamilie am Wegrand saß und symbolisch die
nachkommende Pilgerfamilie von uns grüßen würde. Ich fand diese Tradition des Steinmännchenbauens sehr schön und mir kam der Gedanke,
dass gerade auch Steine ewige Erinnerung und Unsterblichkeit symbolisieren
können. Nicht umsonst legt man bei den Juden zum Beispiel statt Blumen Steine
auf die Gräber. Der Platz für unsere Steinmännchen schien jedenfalls nicht
einmal so unpassend gewählt in der Nähe des Ortes, wo vor Urzeiten unsere
Vorfahren gelebt hatten. Einen kleinen Stein steckte ich nun noch als
Erinnerung in meine Hosentasche.
Ehe wir endlich auf dem anstrengenden
Geröll die Passhöhe von über tausend Metern mit dem großen Holzkreuz
erreichten, sahen wir uns noch einmal nach dem schönen historischen Tal um und
speicherten den Blick in unseren Herzen.
Hier oben empfing uns ein starker Wind und
plötzlich sahen wir auch Wolken am blauen Himmel aufziehen, die unter der Sonne
verschiedene Schattenbilder auf die Landschaft vor uns warfen. Schon wieder ein
neuer atemberaubender Blick! Unter uns lag ein weites Tal mit der Stadt Burgos
und ihren vielen Türmen im Mittelpunkt sowie zahlreichen kleinen Dörfern,
Flüssen, Feldern und Wiesen rundherum. Irgendwo dahinter musste nun die Meseta
liegen,
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