Das Leben in 38 Tagen
dahinter begannen die Berge mit ihren
teilweise weißen Spitzen. Man konnte schon den hellen Pfad sehen, der sich
zwischen den Bäumen steil nach oben schlängelte. Aber heute, nach siebzehn
Kilometern bergauf und bergab, hätte ich wirklich keine Lust mehr gehabt, noch
weitere zwölf Kilometer bis zum nächsten Ort über die Berge zu laufen. Da hätte
ich schon Flügel haben müssen! Nein, für heute reichte es mit Laufen, da waren
wir uns einig, obwohl es hier nicht so einladend aussah.
Eine viel befahrene Nationalstraße führte
mitten durch das Dorf und direkt an der Herberge vorbei. Die LKWs donnerten
hier ständig in einem Tempo entlang, dass die Häuser erzitterten und man Angst
haben musste, über die Straße zu laufen. Und richtig, jetzt fiel mir auch das
kleine Hotel am Ortseingang mit dem großen LKW-Parkplatz davor ein, an dem wir
schon vorbeigelaufen waren! War das nicht der Ort, wo Hape Kerkeling übernachtet hatte und vor lauter Krach von den laufenden Motoren der
parkenden LKWs in seinem schönen Hotelzimmer nicht schlafen konnte? Genau, das
war er! In der Herberge, einem alten grauen Haus mit hohen Fenstern, erwarteten
uns zwei unserer beliebten Schlafsäle mit jeweils zwanzig Metallbetten. Wir
hatten Glück, dass das Zimmer zum Hof noch freie Plätze hatte, denn in dem
anderen Raum zur Straße hin konnte man bestimmt kein Auge zumachen. Am liebsten
wäre es uns gewesen, wenn die Männer im anderen Schlafsaal unter sich geblieben
wären, aber die wollten natürlich auch lieber zum Hof hinaus schlafen. Obwohl
ich mir ziemlich sicher war, dass sie auch der Lärm der Straße nicht vom
Schlafen und Schnarchen abhalten würde! Männer sind eben doch anders als Frauen!
Vielleicht teilten sich Frauen auch nur
ihre Kräfte anders ein, vorausschauend eben, vorsichtiger, und Männer liefen
bis zum Umfallen, weil sie sich immer etwas beweisen müssen, und schliefen dann
auch dementsprechend, oder? Auf jeden Fall haben Frauen ja eine höhere
Lebenserwartung, und das hat sicher mehrere Gründe...
Villafranca Montes de Oca hatte zwar einen
tollen Namen und eine überdimensionale Kirche, die früher einmal Kathedrale
gewesen sein sollte, aber ansonsten war es ein graues, eintöniges Straßendorf,
dessen gute Zeiten lange hinter ihm liegen mussten. Nach 16.00 Uhr konnte man
weder irgendwo Geld abheben noch die Kirche von innen ansehen. Wir hätten gern
gemütlich Kaffee getrunken und etwas Proviant gekauft, aber wo? Nachdem wir mit
unseren wunden Füßen dreimal die Straße rauf und runter gelaufen waren, ehe wir
überhaupt einen Menschen getroffen hatten, landeten wir schließlich in einem
nur von Männern bevölkerten und völlig verräucherten dunklen Lokal, in dessen
hinterer Stube man auch einkaufen konnte. Wir fühlten uns wieder mal eine
Zeitepoche zurückversetzt.
Draußen auf der Straße war niemand zu sehen
gewesen, aber hier drinnen schien das halbe männliche Dorf versammelt. Die
Männer spielten Karten, rauchten, tranken Wein und hielten sich mit ihrem
lautstarken Reden auch nicht zurück, als wir näher kamen. „ Un momento !“, rief der ältere, etwas ungepflegt wirkende
Wirt uns zu, während er weiter von einem Tisch zum anderen lief und sich mit
lautem Bass an den Diskussionen beteiligte. Nachdem er mit eben dieser
energischen Stimme nach seiner Frau gerufen hatte, sahen wir kurz darauf eine
weibliche Person mittleren Alters in bunter Kittelschürze und mit dunklen, tief
liegenden Augen im abgearbeiteten Gesicht die Treppe zu uns herunterkommen.
„Hola, peregrinas!“, sagte sie, ohne das
Gesicht zu verziehen. „Buenos dias , Señora, tiene café y comestibles aqui — haben Sie hier Kaffee und etwas zu essen?“,
fragten wir skeptisch und nach spanischen Worten suchend. Die ältere Frau
nickte und führte uns nach nebenan, wo sich auf engstem Raum neben Schinken und
Wurst, die von der Decke hingen, das Nötigste an Lebensmitteln und Konserven in
allen Ecken stapelte. Leider gab es keine Bananen und die Tomaten und das
übrige Obst schienen auch schon überreif, aber wir waren trotzdem froh, Brot,
Käse und Wein zu bekommen. Und weil wir uns so auf einen Kaffee gefreut hatten,
setzten wir uns schließlich sogar zu den Männern an den einzigen freien Tisch
und genossen das besondere Flair der „französischen Kleinstadt“ mit Kaffee und
kleinen, in Folie verpackten Kuchen.
Auf dem Nachhauseweg waren wir uns einig,
dass dies ein eigenartiges Dorf war. Bei diesem Durchlauf an LKW-Fahrern
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