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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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die im Sommer so gefürchtete Hochebene mit den endlos langen
Weizenfeldern ohne Schatten spendende Bäume und Häuser, von der man sich so
viele Geschichten erzählte.
    Was würde uns wohl dort erwarten? Ich
verspürte keinerlei Angst, sondern ich war voll Vertrauen und Mut, so wie Jutta
es mir geraten hatte. Das Schlimme hatte ich hinter mir und jedes negative
Erlebnis war bisher immer wieder durch Glück kompensiert worden. Burgos lag
schon in Sichtweite und ich erwartete dankbar und mit Spannung jeden weiteren
Tag.
    Ja, auf dem Camino empfand ich jeden Tag
wirklich als ein Geschenk, und als wir am nächsten Morgen in Richtung Burgos
losmarschierten, nahm ich mir fest vor, dieses Gefühl in meinem Herzen
festzuhalten und mit nach Hause in mein tägliches Leben zu nehmen.
    Der Abend in dem winzigen Dorf mit dem
klangvollen Namen Cardeñuela de Ríopico (Cardeñuela
am kleinen Fluss) wenige Kilometer vor Burgos war sehr schön und interessant
verlaufen. Die einfache, kleine Drei-Euro-Herberge, die dem Wirt der einzigen
Gaststätte gehörte, lag direkt unter dem Dach eines Wohnhauses. Hier konnte man
zwar die Toilettentür direkt neben dem Schlafraum nicht schließen und an der
kalten Dusche und dem einzigen Waschbecken gab es statt der Tür nur einen
Vorhang, aber die netten Leute, die wir dort trafen, machten diese Probleme
wieder wett. Achim aus dem Ruhrgebiet, Matias, ein junger Ungar, der wenig
sprach, und Leo, ein 56-jähriger Holländer mit lustigen blauen Augen, grauem
Bart und sehr viel Charme komplettierten neben uns vier Frauen die nächtliche
Schlafrunde.
    Leo konnte viel erzählen und gut zuhören;
ich unterhielt mich fast den ganzen Abend mit ihm. Er schien ein Mensch zu
sein, zu dem man Vertrauen haben konnte. Ich zählte ihn zu der Gruppe von
Pilgern, die den Weg hauptsächlich aus Spaß und sportlichem Ehrgeiz liefen.
Unter anderem war er den berühmten Kennedy-Lauf, der in Holland jedes Jahr
nachts stattfindet und dessen Länge circa achtzig Kilometer beträgt, schon
mehrmals in einem Stück gelaufen. Leo arbeitete als Personalleiter in einer
großen Firma, hatte zwei erwachsene Töchter und seine Frau war in einer
Apotheke tätig.
    So bildete an diesem Abend auch das Gesundheitswesen in
Deutschland ein Thema, zumal Achim als selbstständiger Orthopädiemechanikermeister arbeitete und die zunehmenden Probleme mit den Krankenkassen natürlich hautnah
erlebte. Ich erzählte vom Gesundheitswesen in der ehemaligen DDR, das zumindest
den Vorteil einer einheitlichen Krankenkasse für alle gehabt hatte, aber davon
wollte Achim im Gegensatz zu Leo gar nichts wissen. Achim, der auch gerade
fünfzig geworden war, erschien mir sehr unzufrieden mit seinem Leben, und ich
dachte mir, dass er nicht nur berufliche Probleme hatte. Ihn zählte ich zu den
Pilgern, die ihre Sorgen auf der Stirn trugen, aber die auch eher dazu neigten,
anderen die Schuld an ihren Problemen zu geben. Ob er wohl bereit war, etwas
bei sich selbst zu ändern? Würde ich etwas an mir ändern können? Würde uns der
Weg verändern?
    Leo mit seinem ansteckenden Lachen und
seinem scheinbar ehrlichen Interesse an mir tat mir gut. Ich spürte, wie
empfänglich ich für solche Menschen war. Menschen, an die man sich gern
anlehnen wollte, weil sie Lebensfreude, Offenheit und gleichzeitig Gelassenheit
ausstrahlten. Mit dem Holländer hätte man bestimmt interessante und tief
greifende Gespräche führen können, wobei der Spaß auch nicht zu kurz gekommen
wäre. Ach, wie sehnte ich mich nach herzhaftem Lachen! Schade, dass Leo
Tagesmärsche zwischen dreißig und vierzig Kilometern zurücklegte, so hatte ich
wohl kaum eine Chance, ihn wiederzusehen. Immerhin schliefen wir nachts
nebeneinander, was er mit Augenzwinkern und den Worten kommentierte: „Ich habe
noch nie mit einer deutschen Frau geschlafen!“ Ich antwortete: „Na, hoffentlich
schnarchst du nicht, sonst werde ich dir keine Ruhe lassen!“, was die anderen
lachend bestätigten.
    Niemand schnarchte in der Nacht, nur ich
bekam wieder Durchfall und musste mehrere Male auf die Toilette laufen, während
die anderen zum Glück ruhig schliefen, denn die Türe ließ sich ja nicht richtig
zuschließen. Überhaupt stellte ich immer wieder fest, dass ich im Vergleich zu
den anderen einen leichten Schlaf hatte. Ich hatte den Eindruck, jedes Geräusch
mitzubekommen, und nahm mir deshalb fest vor, mir in Burgos ein Hotelzimmer mit
eigenem Bad und Toilette zu leisten. Am frühen Morgen sah ich zu, wie

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