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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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Fehlkalkulation gewesen war, ein Patzer mit unerwünschten Nebenwirkungen.
    Es spielte keine Rolle. Im Januar wurde er nicht zur Wahl zugelassen – von 2 067 211 Unterschriften, die seine Kandidatur befürworteten, wurden 80 000 von den Behörden für ungültig erklärt. Saalbuchungen wurden storniert, Genehmigungen zurückgezogen. Alexander beging seinen Rücktritt ziemlich feierlich mit einer schonungslosen Ansprache im schonungslosen Wind. Und im März gewann Medwedew die Wahl mit beeindruckend robusten 70 Prozent der Stimmen, während Alexander sich die Hochrechnungen in einem gecharterten Restaurant voller unglücklicher Menschen ansah, die irgendwann anfingen, Dinge nach dem Bildschirm zu werfen, und dann einer nach dem anderen betrunken und deprimiert in die schwarze, verschneite Nacht hinaustaumelten.
    Alexander blieb in dem Restaurant, und Elisabeta malte Fingerschnörkel auf seine Schultern, bis das Personal mit dem Aufräumen fertig war.
    Selbst Mischa, den er ein paar Tage danach auf BBC hohnlächeln sah, schien unglücklich zu sein. »Ich bin kein Fan von Besetow«, sagte er. »Aber die Wahlen sind manipuliert worden. Sie wurden ganz offensichtlich manipuliert. Es haben überhaupt keineWahlen stattgefunden, also können Sie aufhören, die Ergebnisse zu verkünden.«
    Nikolai wurde aus dem FSB abgezogen und zum Innenminister ernannt und bekam eine riesige Datscha bei Moskau im Wald. Manchmal entdeckte Alexander ihn, wenn im Fernsehen aus der Duma berichtet wurde – irgendwo im Hintergrund tauchte kurz sein rohes Gesicht mit den stattlichen Hängebacken auf. Er hatte dem Regime treu gedient. Er hätte es bis zum Ministerpräsidenten schaffen können, wäre er nicht so unverzeihlich hässlich gewesen.
    Zu Hause hatte er zumindest Elisabeta – und immer wenn er den Glauben daran verlor, dass unwahrscheinliche Ereignisse irgendwann doch noch eintreten konnten, war sie da und erinnerte ihn daran. Er trug sie in der Wohnung umher, und er belebte jede halbgeformte Geste wieder, jedes Gefühl, das er jahrzehntelang hatte hinunterschlucken müssen. Das hier wollte ich schon immer mal tun, sagte er dann. Und das hier. Und das. Sie liebten einander, und das war ihnen genug, nur der Husten war schrecklich, und es gab Nächte, in denen sie, ohne einander zu berühren, alte Filme ansahen, während Elisabeta Sauerstoff aus Schläuchen atmete. Und es gab Nächte, in denen Alexander – der kein alter Mann war, aber schon wusste, dass er das nicht mehr lange von sich würde behaupten können – sich fragte, wie es gewesen wäre, die Liebe in jungen Jahren zu erleben oder ein Jahrzehnt oder ein ganzes Leben lang.
    Seine erste Kundgebung nach den Wahlen fand in Moskau statt, und er hatte das Gefühl – obwohl Nina nicht da war, um für ihn nachzuzählen –, es seien mehr Zuschauer da als je zuvor. Neuntausend, dachte er, vielleicht zehn. Vielleicht waren sie wütender als sonst, vielleicht verbittert, und vielleicht meinten sie es diesmal wirklich ernst. Sie schrien Parolen. Sie schwenkten Fahnen und hielten Plakate hoch, und auf einigen davon war Alexanders eigenes zweidimensionales, zerknittertes Gesicht. Er räusperte sich, umsie zur Ruhe zu bringen. Er ließ seinen Blick über sie schweifen, über diese Menschen, sein Volk, Russen unter Zwang, Bürger unter Vorbehalt. Es würde ihm immer schwerfallen, an die Umfragewerte zu glauben und an die Wahlergebnisse, wenn immer wieder so viele Leute kamen und schrien.
    Er zog das Mikrophon zu sich heran. Sie wurden leiser, Freunde mahnten Freunde zur Ruhe, damit sie hören konnten, was er zu sagen hatte. Er wollte etwas Unvergessliches sagen. Er wollte etwas sagen, das alles rechtfertigen würde, was der Rechtfertigung bedurfte – eine unendlich lange Liste von Dingen. Er wollte etwas sagen, das perfekt die Balance zwischen erbittertem Zynismus und stiller, unbeugsamer Hoffnung hielt. Er wollte sagen, dass ihnen nichts anderes blieb als die Verzweiflung – und dass ihnen dann nichts blieb, als der Verzweiflung ein Ende zu setzen. Er wollte sagen, sie würden es vielleicht nicht mehr miterleben, aber irgendjemand würde es erleben, irgendwann. Er wollte sagen, dass die historische Perspektive ein Trost war, dass sie ein Trost sein musste, dass sie so tun mussten, als sei sie ein Trost, bis sie wirklich einer war. Er wollte sagen, dass es ehrenhaft war, ein kleiner Zug in einem gewaltigen Spiel zu sein, selbst wenn man nie erfahren würde, wie es ausging. All das wollte er

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