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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Schokopops?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum du die immer für mich kaufst. Dad kauft sie auch immer. Ich hasse Schokopops.« »Ich dachte, du magst sie.«
    »Früher mal. Aber aus dem Alter bin ich raus. Sie schmecken komisch. Irgendwie nach Metall?« »Was hättest du dann gerne?« »Schon gut. Ich mach mir was.«
    Er beschmierte einen Toast einen Zentimeter dick mit Erdnussbutter und einer Schicht Erdbeermarmelade und bestreute das Ganze mit Kakaopulver. Ich rechnete damit, dass er gleich hinauf in sein Zimmer gehen würde, doch er setzte sich an den Küchentisch. Draußen prasselte und gurgelte der Regen und ließ die Gullys überlaufen. Solche Wolkenbrüche im Februar hatte es doch früher nicht gegeben? Ich würde ihn später fragen. Ich schenkte mir eine Tasse Tee ein. Ben trank seit unserer Endzeit-Unterhaltung nur noch Wasser. »Ist es so nicht ein bisschen ... kalt?«
    Er sah mich vorwurfsvoll an. »Ja. Aber wenn man bedenkt, dass unser Herr gekreuzigt wurde, ist das doch gar nichts?«
    Durch die Hebung am Ende des Satzes klang er defensiv. Ich spürte einen Anflug von Panik.
    »Denkst du darüber oft nach, Ben?«
    Er öffnete seine Schultasche, zog einen Innenreißverschluss auf und nahm ein Buch heraus. Beunruhigt erkannte ich Rips alte Schulbibel - schwarz, mit Goldschnitt und dem Wappen seiner Privatschule auf dem Vorsatzblatt. Er blätterte zu einer Stelle, die er mit einer alten Busfahrkarte markiert hatte.
    »Wenn ihr aber sehen werdet... den Greuel der Verwüstung ...«, er stockte bei den sperrigen Worten, »davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, dort stehen, wo er nicht soll, alsdann, wer in Judäa ist, der fliehe auf die Berge. Wer auf dem Dach ist, der steige nicht hinunter und gehe nicht hinein, etwas aus seinem Hause zu holen. Und wer auf dem Feld ist, der wende sich nicht um, seinen Mantel zu holen.« Er las sorgfältig und sah dabei von Zeit zu Zeit hoch, ob ich noch zuhörte. »Und dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.«
    Er hielt inne, um von seinem Toast abzubeißen. Plötzlich dachte ich an das Himmelspanorama, das ich von oben im Doppeldecker gesehen hatte. Diese strahlenden, galoppierenden Wolken - sie erinnerten tatsächlich an die Streitwagen der Herrlichkeit.
    »Und dann wird er die Engel senden und wird seine Auserwählten versammeln von den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.« Als ich nichts sagte, erklärte er: »Markus, Kapitel dreizehn? Vers vierzehn bis siebenundzwanzig? « »Ben ...«
    In dem Schweigen zwischen uns war ein süßer, lockiger Junge kurz davor, für immer zu verschwinden. Ich wollte ihn in die Arme nehmen. Ich wollte, dass er wieder mein kleiner Junge war, wollte ihm Geschichten von Hasen und Dachsen erzählen, doch er war jemand anders geworden.
    »Ich sage nicht, dass das alles Quatsch ist, Ben. Die Sprache - sie ist sehr stark. Aber meinst du nicht, dass hier Dinge gemeint sind, die vor langer Zeit passiert sind?«
    »Der Greuel der Verwüstung ist nicht vor langer Zeit passiert, Mum - er kommt in der Zukunft - und zwar bald. Irgendein Verrückter wird eine Atombombe auf den Tempelberg in Jerusalem werfen. Die heilige Stätte. Diese Sachen von wegen in die Berge flüchten, nichts mitnehmen, nicht mal den Mantel. Der Atompilz. Es steht alles da.« Er griff nach dem Kakao und bestäubte seinen Toast noch einmal,
    dann leckte er sich den Finger ab und fuhr damit durch den Kakao, der auf dem Tellerrand gelandet war.
    »Aber ...« Wie kannst du das ernst nehmen?, wollte ich fragen. Doch mit einem Gefühl von Beklommenheit wurde mir klar, dass Ben nicht allein dastand, ganz und gar nicht, und dass es meine eigene bequeme säkulare Weltsicht war, die sich im Rückzug befand vor einer drastischen globalen Flutwelle des Glaubens.
    »Daniel hat es zuerst vorausgesagt. Im Alten Testament? Dann haben auch Matthäus und Markus davon gesprochen? Sie konnten nichts von Atombomben wissen, aber wie sie es beschreiben ... das ist so genau, dass es unheimlich ist?« Seine Stimme, so brüchig und eindringlich, klang fremd.
    »Aber ist das nicht symbolisch gemeint? Das soll man doch nicht wörtlich nehmen, Ben.«
    Seine Augen weiteten sich vor Eifer. Er leckte sich wieder die Finger ab. »Ja, genau das ist es. Symbolisch. Man muss die Zeichen deuten? Sie tauchen auf der ganzen Welt auf, die Zeichen der Endzeit? Wenn man weiß, wonach man suchen muss?«
    Ohne

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