Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
ist also gezwungen, sie zur Frau zu nehmen?«, wagte meine Mutter hoffnungsvoll zu fragen.
»Nein. Er schreibt, er habe ohnehin vor, sie zu heiraten, er bräuchte dafür nur meinen Segen. Ich soll also einwilligen – aber etwas anderes bleibt mir wohl kaum übrig.«
»Oh«, entfuhr es meiner enttäuschten Mutter.
»Und von dir will er wissen, ob du etwas dagegen hast.« Mit dieser Bemerkung wandte er sich an seine Schwiegertochter.
Meine Mutter erwiderte nichts. Was zählte es, ob sie etwas dagegen hatte oder nicht? Letztlich kam es doch nur darauf an, was mein Großvater entschied. Noch dazu war ein Kind unterwegs. Damit waren ihr Mann und die neue Frau praktisch schon verheiratet.
»Ob dieses Mädchen mitkommt, wenn Barack nach Kenia zurückkehrt?«, fragte mein Großvater seine Frau. Seine Besorgnis war nicht zu überhören.
Nicht eine Sekunde zweifelte er daran, dass sein Sohn nach seinem Studium unverzüglich zurück in die Heimat reisen würde. Doch was würde dann aus seiner zweiten Ehe werden, was aus dem Kind, falls die Mutter Barack nicht nach Kenia folgen wollte?
Meine Mutter muss sich angesichts dieser Neuigkeiten entsetzlich gefühlt haben. Der Brief bedeutete das Ende der Träume, die sie mit ihrer Ehe verbunden hatte. Trotz der bei den Luo selbstverständlichen Polygamie hatte sie, wie sie mir später erzählte, nicht damit gerechnet, eines Tages selbst davon betroffen zu sein. Hatte sie sich doch auch der Tradition widersetzt und gegen den Willen ihres Vaters geheiratet. Kaum sechzehn Jahre alt, hatte sie Barack auf einer Tanzveranstaltung kennengelernt, als dieser sich zu einem Besuch bei Verwandten am Viktoriasee in Kendu Bay aufhielt. Damals arbeitete er in Nairobi. Für beide war es Liebe auf den ersten Blick. Ohne lange zu überlegen, folgte meine Mutter der Stimme ihres Herzens, brach die Schule ab und brannte mit meinem Vater durch. Nach einem ewigen Hin und Her zwischen den beiden Familien durften die frisch Verliebten endlich heiraten.
Das Tanzen wurde für sie mehr als nur ein Hobby. Bald beteiligten sie sich an den Wettbewerben, die in den verschiedenen afrikanischen Gemeindesälen rund um Nairobi veranstaltet wurden. Und oft waren es die beiden, die den Sieg davontrugen. Abongo kam auf die Welt, und sie tanzten weiter. War einmal kein Babysitter zur Hand, wickelten sie den Kleinen in eine warme Decke und nahmen ihn in einer Tragetasche mit. Während seine Eltern sich auf der Tanzfläche vergnügten, schlief Abongo friedlich, beaufsichtigt von den vielen Freunden, die es liebten, seinen Eltern zuzuschauen.
Meine Mutter hatte nur deshalb in die vorübergehende Trennung von meinem Vater eingewilligt, weil sie fest daran geglaubt hatte, dass es zwischen ihr und dem Mann, den sie liebte, etwas ganz Besonderes gab. Sie war bereit gewesen, auf ihn zu warten, und sie hatte angenommen, meinem Vater würde es ebenso ergehen.
Nun aber sollte er nicht mehr nur ihr allein gehören. An jenem schicksalsschweren Tag musste sie ihre Verzweiflung herunterschlucken. Da es im Haushalt meines Großvaters, in dem jetzt Sarah lebte, ebenfalls mehrere Frauen gegeben hatte, wusste sie, dass sie für ihre Tränen kein Verständnis finden würde. Und selbst meine Großmutter hätte sie nur fern seiner Blicke trösten können, etwa in der Kochhütte, wo sie beide ungestört miteinander reden konnten. Die Kochhütte gehörte nämlich zu dem Bereich, zu dem ausschließlich Frauen Zugang hatten und den traditionsgemäß Männer nicht betreten durften.
Ohne lange zu zögern, traf mein Großvater seine Entscheidung: Er würde seinem Sohn die Erlaubnis für eine zweite Heirat geben. In sachlichen Worten teilte er dies auch meiner Mutter mit. Gefragt wurde sie nicht, obwohl ihr Mann in seinem Brief um ihr Einverständnis gebeten hatte. Doch selbst wenn sie gefragt worden wäre, hätte sie dem Beschluss meines Großvaters nicht widersprechen können. Sein Wort galt. So weh es auch tat, sie musste das Unumgängliche akzeptieren.
Kurze Zeit später, nachdem mein Großvater seinem Sohn geantwortet hatte, heiratete mein Vater die achtzehnjährige Ann Dunham, die wie er selbst an der Honolulu University studierte, und zwar Anthropologie.
Am großelterlichen Hof nahm das Leben wieder seinen üblichen Lauf. Mein Vater schrieb meiner Mutter weiterhin, und nach wie vor schickte er Kleidung und Geschenke für uns Kinder. Hätte man nicht gewusst, dass in einem Koffer meines Großvaters jener folgenschwere Brief lag,
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